Flüchtige Erfahrungen
Die Atmosphäre im DG Kunstraum ist ganz heimelig. Wie durch eine hübsch eingerichtete Wohnung geht man durch die Galerie der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst am Wittelsbacherplatz. Auf den Leinwänden, die den Raum unterteilen, sieht man mit schwarzen Kohlestrichen konturierte Möbel. Zum Beispiel eine Kommode mitsamt Telefon. Oder Stühle, einen Tisch, darauf Tassen, Kännchen, eine Torte unter einer Glasglocke. Einen hoch aufragenden Ofen. Eine Spüle, um die herum Töpfe hängen.
Zimmerpflanzen, manche farbig ausgemalt, hauchen den skizzierten Interieurs zusätzlich Leben ein. Außerdem festigen ein paar handfeste Gegenstände das Gefühl, sich in einem realen Wohnraum zu befinden. Echte Stühle stehen hier und da; ein Fenster wurde eingelassen, eine Tür, ein Balkongitter. Eine echte Teetasse mit echtem Teebeutel verspricht echten Teegenuss. Gleichzeitig befindet man sich in einer flüchtigen Scheinwelt: Die gemalten Interieurs scheinen hinten durch die Leinwände durch. Und hängen da nicht völlig überschüssig, etwas irreal gleich drei Lampen über dem Wohnzimmertisch?
Um die Frage nach einem eigenen Zuhause, einer Heimat, dreht sich die neue Ausstellung im DG Kunstraum. "Deine Hand auf meiner Schulter" lautet der Titel der Schau, womit diese Frage gleich ins Sinnliche überführt wird und erahnbar wird, dass es hier auch um Berührungen mit der Vergangenheit, um die Herkunft geht. Im Rahmen seiner "Doppelpass"-Reihe hat der DG Kunstraum dazu die Künstlerin Esther Zahel sowie die Performerin und Tänzerin Judith Hummel zu einem Team zusammengespannt.
Während das verwinkelte Raumarrangement von Esther Zahel und ihre malerische Gestaltung das Flair einer geschmackvoll möblierten Wohnung erzeugen und die Sehnsucht nach einem Zuhause träumerisch spürbar machen, handeln die drei von Judith Hummel beigesteuerten, innerhalb der Installation jeweils auf eine Leinwand projizierten Filme vom notgedrungenen Verlassen der Heimat. Den Fluchtweg, den ihre Großmutter Barbara 1944 vom rumänischen Banat nach Deutschland nahm, hat Judith Hummel recherchiert und versucht, in einer inneren wie äußeren Reise nachzuvollziehen.
Die erste Etappe, von dem großelterlichen Heimatdorf Sˇacˇalaz bis zum ungarischen Szeged, sowie die dritte Etappe durch Österreich, von St. Pölten bis Schärding, bewanderte sie gemeinsam mit ihrer Mutter Margret in den Jahren 2019 und 2022. Begleitet wurden sie von der Kamerafrau Laura Kansy. Die fing einnehmende Bilder der zwei Reisenden und der Landschaften, zwischen Nähe und Ferne ein.
Die geplante zweite Etappe durch Ungarn musste Judith Hummel pandemiebedingt ausfallen lassen. Stattdessen machte sie sich im Alten Betonwerk auf die Reise, ging immer wieder in der leeren Halle hin und her, rieb dabei Ziegelsteine aneinander, bedeckte den Boden so zunehmend mit rotem Staub, während Evi Keglmaier sie musikalisch begleitete. Als Kind hatte Judith Hummels Großmutter einen kleinen Kaufladen und erzeugte Paprikapulver, indem sie ebenfalls Ziegelsteine aneinanderrieb. Was in der Realität nicht vorhanden war, konnte so zumindest im Spiel, als Illusion hergestellt werden.
Die Fluchtgeschichte ihrer Großmutter war in Hummels Familie stets präsent gewesen, "aber ich habe mich zunächst nicht näher damit befasst. Dann kam 2015 die große Flüchtlingswelle und ich fragte mich: Wieso gibt es so viel Hass gegenüber den Geflüchteten, wo viele von uns doch eine ähnliche Geschichte in der Familie haben? Mit meiner Herkunft wollte ich mich dann vor allem körperlich auseinandersetzen, weshalb ich den Fluchtweg meiner Großmutter noch einmal abgegangen bin. Dass ich meine Mutter mitnahm, führte dazu, dass auch der Fokus ein bisschen gewandert ist: Der Ursprung des Projekts war meine Großmutter. Dann ging es immer mehr um die Beziehung zu meiner Mutter."
Über eine "Aufgeregtheit", die sich durch die ganze Familie zieht, unterhalten sich Tochter und Mutter einmal auf ihrem Weg - eine Aufgeregtheit, die womöglich von der Fluchterfahrung der Oma herrührt. "Meine Mutter sagt da auch, dass es bei ihr immer wieder dieses Gefühl gibt, dass irgendwas falsch ist, dass was nicht passt", so Judith Hummel. "Das kenne ich selbst auch. Vielleicht kommt das wirklich von meiner Großmutter: dass sie ihren Halt verlor und sich ihren Platz in der Welt neu erkämpfen musste."
Inspiriert von dem Projekt hat auch Esther Zahel sich mit der Geschichte ihrer eigenen Familie befasst. Einen großen Schrank hat sie auf eine der Leinwände gemalt, dazu oben einen Plattenspieler und in den Regalen mehrere Bücher. Die Buchrücken hat sie mit den Vornamen einiger ihrer Ahnen beschriftet. "Die Möbel, die ich male, haben für mich immer etwas von Charakteren. Und auch ein Buch hat ja etwas von einer Person, beinhaltet eine Geschichte, die einen Anfang und unweigerlich ein Ende hat."
Dass Esther Zahel sich in ihrer Kunst immer wieder mit der Frage nach einem Zuhause beschäftigt, hat vor allem mit der miserablen Wohnsituation in München zu tun. "Nachdem ich 2013 mein Studium an der Akademie der Bildenden Künste begonnen hatte, bin ich gefühlt zehn Mal umgezogen", erzählt sie. "Ich hangelte mich von einer Zwischenmiete zur nächsten, besaß dabei nur wenig Dinge. Von meiner Oma, die in dieser Zeit gestorben ist, habe ich dann sehr viele Möbel geerbt. Irgendwann fing ich auch an, Möbel zu malen und habe mir in meinen Installationen eine eigene Welt, ein Zuhause geschaffen."
Bei ihrer Arbeit geht Esther Zahel nicht von Fotografien, sondern ihrer Erinnerung aus. "Das ist ein sehr intuitives Arbeiten", findet sie selbst. "Ich möchte das Wesen der Dinge ergründen und auf die Leinwand bannen." Die gesamte Schau erweist sich nun als intensive, inspirierende Erinnerungsarbeit: In die familiäre Spurensuche von Judith Hummel und die Interieurs von Esther Zahel wird man förmlich hineingezogen - und fühlt sich aufgefordert, die Reise fortzusetzen: Ein Audiowalk, den Judith Hummel gemeinsam mit Ruth Geiersberger eingesprochen hat, führt aus der Galerie in die Stadt hinaus.
Man kann dazu Bommel mitnehmen, die Hummels Großmutter und ihre Mutter angefertigt haben. Nach Belieben kann man die bunten Wollquasten in München nun platzieren und so Zeichen der Erinnerung setzen: vor allem an eine sensibel eingerichtete Schau, die im Gedächtnis bleibt.
DG Kunstraum, Finkenstr. 4; bis 9. November, Di bis Fr, 12 bis 18 Uhr; Führung mit Esther Zahel am Do, 5.10., 19 Uhr; Führung mit Judith Hummel am Di, 10.10. 19 Uhr; Katalogvorstellung und Gespräch, Do, 19.10., 19 Uhr; musikalische Lesung mit Ruth Geiersberger und Evi Keglmaier am Do, 26.10., 19 Uhr
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