Florian Illies über Caspar David Friedrich
An Goethe hat er sich die Zähne ausgebissen, und jede Liebesmüh schien dessen Aversion nur noch anzuheizen. Aber klar, der Herr Geheimrat war eine Instanz und wusste zu jeder Säulenordnung und jedem Raffael-Karton ein paar Zentimeter Senf aus der geistvollen Tube zu drücken. Caspar David Friedrich hätte vom Segen aus Weimar sehr wohl profitieren können, allerdings ist der Dichter 1815 im Gespräch mit dem Kölner Kunstsammler Sulpiz Boisserée vollkommen ausgerastet:
Friedrichs Bilder könnten auch auf dem Kopf gesehen werden - das ist heutzutage gut zu verschmerzen. Dass Goethe das "Zerschlagen der Bilder an der Tischdecke" und gleich noch das "Zerschießen" im Sinn hatte, wirft dann doch Fragen auf. Und Kunstdetektiv Florian Illies hegt auch sofort einen bösen Verdacht. Der 52-jährige Schriftsteller, der morgen mit dem Ehrenpreis des Bayerischen Buchpreises ausgezeichnet wird, ist im Weimaraner Schlossmuseum auf ein seltsam gekapptes Bild mit einem Berggipfel getroffen. Offenbar fehlt da ein beträchtliches Stück, und er empfiehlt, das Rudiment einmal auf Fingerabdrücke zu untersuchen.
So geht es in einem fort. Kurz vor dem Friedrich-Hype zum 250. Geburtstag im nächsten Jahr taucht Illies in seinem Buch "Zauber der Stille" tief ein in die Biografie des großen Malers der deutschen Frühromantik - und in gleichem Maße in die Zeit mit all ihren Möglichkeiten und Unmöglichkeiten. Unmöglich war für Friedrich zum Beispiel ein geheimratsmäßig komfortables Leben. Jeden fehlenden Kreuzer musste der skrupulöse Künstler umdrehen. Und hätten ihm die Brüder in Greifswald nicht regelmäßig Fässer voll eingelegter Heringe nach Dresden geschickt, wäre die Eiweiß- und Omega-3-Versorgung im Haus "An der Elbe 33" ziemlich mau gewesen.
Aber so ist das halt, wenn einer gegen die Obrigkeit wettert und der Demokratie anhängt und - das wiegt schlimmer - schwermütige Bilder malt. Heinrich von Kleist, der in Friedrich einen Seelenverwandten erkennt, zählt zu den wenigen, die für dessen Werk eine Lanze brechen. Über den "Mönch am Meer" schreibt Kleist, dass "nichts trauriger und unbehaglicher" sein kann, "als diese Stellung in der Welt: der einzige Lebensfunke im weiten Reich des Todes". Und nach dem Verweis auf die Apokalypse muss Kleist dann auch aufhören, alles Weitere wage er nicht auszusprechen.
Womöglich ging das selbst Friedrich zu weit, wer weiß. Das Unsagbare ist dann wenige Monate später der Schuss aus der Pistole, mit dem Kleist seiner eigenen Aussichtslosigkeit ein Ende setzt. Der zu Depressionen neigende Goethe wird diesen Gehalt in der Kunst Friedrichs sehr wohl bemerkt haben, deshalb die unbeherrschte Abwehr, zumal er den "Mönch" noch im Atelier bei der Entstehung 1810 gesehen hat.
Auf der anderen Seite gibt es einen preußischen Kronprinzen, der früh die Mutter - Königin Luise - verliert und im einsamen "Mönch" Trost findet. Friedrichs Bildkosmos bietet nicht zuletzt in seiner Rätselhaftigkeit ein erstaunliches Spektrum, auch das macht seine Qualität aus, und man könnte das an Tönungen und Bildschnitten festmachen, an Relationen und Perspektiven.
Illies, der Kunsthistoriker, hat das alles im Gepäck und kann es nach Bedarf auf der Picknick-Decke ausbreiten. Als leidenschaftlicher Leser und Journalist weiß er natürlich, dass es Geschichten sind und Anekdoten, die haften bleiben und einen Menschen, ein Werk und erst recht die Ungereimtheiten begreiflich werden lassen.
Er assoziiert vogelwild, das ist seine bewährte Masche, und man begibt sich gerne ins heterogene Gestrick. Dass der Autor von Bestsellern wie "Generation Golf" (2000) und dem Kaleidoskop "1913" mit Nachschlag "Was ich unbedingt noch erzählen wollte" High and Low aufeinander knallen lässt, vor allem aber vermeintlich unpassende Begebenheiten zusammenspannt, beschert zwischendurch verblüffende Einsichten.
Ausgerechnet in einer Zeit, die Friedrich als "groß und stark gebaut, blond, charakterfest und kämpferisch" bejubelt und noch ganz andere Versteigungen parat hat wie "die wesentlichen Züge seiner Seele in reiner Verkündigung", die "das ewige Deutschland" in seinen Werken erblicke, entdecken ein Amerikaner und ein Ire den "germanischen Helden" für ihre fortschrittliche Kunst.
Walt Disney kauft am Münchner Marienplatz stapelweise Bildbände, weil er Anregungen für seine Trickfilmzeichner in Hollywood braucht - Bambi wird bald durch Landschaften von Caspar David Friedrich staksen. Und Samuel Beckett ist fasziniert von zwei Menschen bei der Betrachtung des Mondes. Das sei das Urerlebnis für "Warten auf Godot" gewesen, wird er später in den 70er Jahren erklären.
Der Erfinder der Micky Maus und einer der bedeutendsten Autoren des Absurden Theaters nehmen den armen Friedrich ins Exil, wenigstens ein Stück weit. Und wären die Umstände in den 1930er Jahren nicht gar so gruselig, dann hätte sich womöglich auch der menschenscheue Malerkauz über so viel dumpf-hohles Pathos amüsiert.
Friedrich liefert freilich auch die bildlichen Steilvorlagen. Durch die Freiheitskriege ist er zum Nationalisten geworden. Doch das sei in den 1810er-Jahren naturgemäß etwas ganz anderes, relativiert Illies im AZ-Gespräch: "In der Vereinigung der deutschen Länder sah nicht nur Friedrich eine Chance, sich gegen Napoleon und die Besatzung zu wehren." Die Nazis griffen dankbar zu und ignorierten in ihrem Blut-und-Boden-Wahn Aufmüpfigkeit und Freiheitsdrang genauso wie Friedrichs lebenslanges Ringen mit den Dämonen der Seele.
Sogar von einem Selbstmordversuch in jungen Jahren ist die Rede, die Narben verdeckt wohl der dichte Bart. Überhaupt gilt der 1774 als achtes von zehn Kindern geborene Sohn eines Seifensieders früh schon als sonderlich, doch das kann nicht verwundern, wenn man um den frühen Tod der Mutter und drei seiner Geschwister weiß. Bruder Christoffer ertrinkt, als er Caspar David aus dem Eis retten will.
Von einem solchen Trauma kann man sich nicht freimachen, und vielleicht sind Friedrich die familiären Bande nach Greifswald und zur fast 20 Jahre jüngeren Ehefrau Caroline und den drei Kindern auch deshalb so ungemein wichtig. Wenn er Vertrauen fasst, entstehen wunderbare Freundschaften wie etwa mit dem norwegischen Maler Johan Christian Clausen Dahl oder Carl Gustav Carus. Selbst der Humor spielt eine beträchtliche Rolle. Wird Friedrich verspottet, und das passiert ihm an den Kunstakademien in Kopenhagen und Dresden, zieht er sich zurück ins Schneckenhaus.
Das Aktzeichnen ist aber auch ein Desaster. Dass er sein überlängt schlaksiges Personal von 1816 an konsequent von hinten malt, kommt nicht von ungefähr. Es gibt außerdem keine Porträts, und man braucht bloß einen Blick auf die Hände zu werfen, die halt irgendwie sein müssen: Sie gleichen knubbeligen Fäustlingen in Fleischfarbe.
Das ändert nichts an der Tatsache, dass viele beim Betrachten seiner Bilder blitzartig verzaubert werden, Sehnsuchtsgefühle entwickeln. "Friedrich spricht nicht zuerst den Kopf, sondern das Herz und die Seele an", sagt Illies. Das Träumerische und Sehnsuchtsvolle in dieser Kunst zu finden, sei aber ein neues Phänomen. Und die Natur ist bei Friedrich ja auch eine Spur besser als in der Realität. Seine Gemälde konstruiert er aus den unzähligen Skizzen und Zeichnungen, mit denen er auf Ausflügen jedes noch so kleine Detail einer Eiche oder eines Steinbrockens erkundet.
Wenn man sich das klar macht, ist die Radikalität dieser Bilder noch einmal eine andere. Vom gnadenlosen Scheitern, das im "Eismeer" unter malmenden Schollen verhandelt wird, bis zur Verlorenheit des Individuums im "Mönch am Meer", der selbst in der Komposition hin zur Rahmung ohne jede Grenze auskommen muss. Manchmal meint man, den tief im Glauben verwurzelten Protestanten beim (Ver)Zweifeln über die Schulter zu schauen. Und dann beginnt es am Horizont weit hinter der Ruine der "Abtei im Eichwald" doch wieder zu leuchten.
Für Friedrich sei das Himmelmalen wie ein Gottesdienst, hat seine Frau Line einmal einem Besucher erklärt, da dürfe man ihn nicht stören. Als Goethe in der Aufgeblasenheit eines Almosenspenders bei Friedrich Wolkentypen bestellt, und zwar nach den Bestimmungen des englischen Hobby-Meteorologen Luke Howard, kommt es endlich zum Krach.
Der Maler, der so lange auf einen Auftrag gewartet hat, ist außer sich. Er sei kein Illustrator naturwissenschaftlicher Entdeckungen, lässt er Goethe wissen. Damit endet ein Missverhältnis, und neben der Wut wird sich Erleichterung breitgemacht haben. Womöglich ging Friedrich zum Käfigputzen über. Das hat der passionierte Züchter von Kanarienvögeln besonders ernst genommen.
Auch von solchen Schrulligkeiten liest man bei Florian Illies. Das erdet Friedrich und hilft bei Anfällen von Beweihräucherung.
Florian Illies: "Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeit" (Fischer Verlag, 256 Seiten, 25 Euro). Buchvorstellung am 8. November, 19 Uhr, im Literaturhaus, Salvatorplatz 1, evtl. Restkarten an der Abendkasse, Livestream über www.literaturhaus-muenchen.de
- Themen: