"Fliegender Holländer": Erlösung unterm Ventilator
Jan Philipp Gloger deutet Wagners „Fliegenden Holländer“ als Opfer des globalen Kapitalismus – trotz kleiner Mängel ist die Eröffnungspremiere der Bayreuther Festspiele ein Glücksfall
Der am Getriebe der Welt leidende Held wirft angewidert den Papp-Kaffeebecher von sich. Dann stößt der reisende Geschäftsmann seinen Rollenkoffer weg, später verweigert er Massagen und sexuelle Dienstleistungen. Ihn umwittern blitzend die Datenströme des globalen Kapitalismus, dessen Frist längst abgelaufen ist.
Dass an der Stelle des wegen seiner umstrittenen Tattoos abgereisten Russen Evgeny Nikitin nun ein Südkoreaner die Titelrolle im „Fliegenden Holländer“ singt, unterstreicht ungewollt die Zielrichtung der Bayreuther Neuinszenierung: ein Massenmensch unserer Gegenwart. Samuel Youn hat eine helle Stimme mit guter Höhe, an die sich das voluminös tiefe Register nicht ganz bruchlos anschließt. Er gestaltet zwar etwas grob, ist als Einspringer aber ein ausgesprochener Glücksfall.
Als solche muss auch Jan Philipp Glogers Inszenierung gelten, wenigstens im ersten und zweiten Akt. Der junge Regisseur, in der Ära Dorn am Residenztheater tätig, versteht die Beziehung zwischen Senta und dem Holländer als eine Liebe zweier Verlorener. Hier gelangen anrührende Momente, weil der Regisseur Gefühlen ernsthaft vertraut, hart am Text bleibt und sich jene aufgesetzten Forcierungen verkneift, die einem seit Jahren das Vergnügen an der Reise nach Bayreuth verderben.
Thielemanns Interpretation passt fabelhaft zur Regie
Auf das Nirgendwo im Inneren der Datenströme folgt eine konkrete Spinnstube als Lagerhalle, in der Ventilatoren verpackt werden (Bühne: Christof Hetzer). Die Tochter des Fabrikbesitzers hat sich im Eck aus Kartons eine Illusionswelt mit Holländer-Puppe und Schiff zusammengebastelt. Erik (Michael König) ist ein bulliger Hausmeister mit entsprechendem Heldentenor. Er hält eine Spritze mit Silikonmasse für ein angemessenes Liebespfand und bewältigt die Verzierungen seiner Kavatine trotz der schweren Stimme erstaunlich mühelos.
Diese für Gloger typische, leicht ironische Freude am Peinlichen in der Liebe passt bestens zu Christian Thielemanns Sicht des „Fliegenden Holländers“. Der Dirigent wählte die Endfassung in einer pausenlosen Version mit dem in der letzten Zeit verpönten Erlösungsschluss. Den ersten und zweiten Akt nimmt er schlank, als sei’s Webers „Freischütz“ oder Musik von Mendelssohn. Er kehrt mit dem bestens aufgelegten Festspielorchester die Komödiantik der Daland-Szenen heraus und setzt sie scharf neben die Weltschmerz-Düsternis der Holländer-Musik. Dass im dritten Akt nach dem breit ausgekosteten Matrosentanz der Tonfall gewichtiger wurde, wirkte als Steigerung sehr schlüssig.
Den etwas ruppig singenden Daland von Franz-Josef Selig begleitete Thielemann nicht minder hingebungsvoll wie die sehr lyrische Senta der Adrianne Pieczonka. Die Kanadierin nahm die Ballade fast etwas zu beiläufig, steigerte sich zunehmend in eine flammende Dramatik hinein, der die Inszenierung leider immer weniger entgegenzusetzen wusste.
Im dritten Akt bringt Gloger seine Kritik an kapitalistischer Entfremdung mit seiner subtilen Beziehungs-Psychologie nicht zusammen. Der zappelige Steuermann (luxuriös: Benjamin Bruhns) peitscht in der großen Chorszene einen Haufen von Ventilator-Verkäufern auf, die von Holländer-Doubles verscheucht werden.
Ihr Chef verbrennt inzwischen Geld und bildet mit Senta eine Pietà, die beim Auftritt Eriks recht ungeschickt aufgelöst wird. Auf den finalen Doppelselbstmord folgt eine sarkastische Pointe: Im Schlussbild hat Daland die Produktion auf kitschige Statuetten des Liebespaars in seiner Schlusspose umgestellt.
Das Premierenpublikum behandelte Gloger und sein Team überraschend herzlos. Das ist ein bisschen ungerecht, weil dieser Regisseur sichtlich mit Sängern und ihrer Körperlichkeit arbeitet und sie nicht als Marionetten in einem Konzept herumschiebt wie der Bayreuther „Parsifal“-Regisseur Stefan Herheim.
Dieser „Fliegende Holländer“ ist trotz gewisser Mängel und einer fehlenden Rundung die überzeugendste Neuproduktion der vergangenen, eher dürren Bayreuther Jahre.