Filmfest Venedig: Laute(r) Männersachen
Wo, wenn nicht hier, könnte es Untote geben und spuken: im Grand Hotel Des Bains am Lido, das mit seinen langen "Shining"-Korridoren in vergangener Jungendstil-Pracht seit 13 Jahren leerstehend vor sich hin rottet. Blutrot ist nachts die bröckelnde, neoklassizistische Fassade mit den geschlossenen Fensterläden angestrahlt, weil man im Foyer eine Bar mit Videowänden eingerichtet hat, die die halbgeplünderte Sala Thomas Mann verdecken - allerdings nur für die Zeit des Festivals, denn eine Lösung für die gigantische Investitionsruine ist nicht in Sicht.
Einen Gruselfilm hat sich die 80. Biennale gleich nach dem Eröffnungsfilm gegönnt: "El Conde" des Chilenen Pablo Larraín, der mit dem Lady-Di-Film "Spencer" vor zwei Jahren am Lido war. "Der Graf" ist ein Schwarz-Weiß-Film, in dem der Diktator Augusto Pinochet als Untoter, als Vampir, immer noch lebt. Dabei ist der eigentliche Skandal, dass der faschistische General, der 1973 in einem Putsch den Links-Demokraten Salvador Allende ermordete und bis 1990 herrschte, erst 2006 unbelangt von der Justiz, 91-Jährig im Kreise seiner Familie starb - oder eben - wie jetzt bei Larraín seinen Tod fingiert, um als Vampir weitermachen zu können.
Das Problem des Films: Ein Mann, der für über 40 000 Gewaltopfer seines Regimes verantwortlich ist, taugt nicht für eine Gothic-Satire. Da erschlägt die Wirklichkeit die Ironie. So sieht man kaltblütig Pinochet (Jaime Vadell) bei seinen skurrilen Blutraubzügen zu, denen auch eine auf ihn angesetzte junge Nonne und Exorzistin zum Opfer fällt, weil sie dem Greis verfällt. Als Nebenhandlung sind seine Kinder und Frau angereist, um Unterlagen über die verschwundenen Millionen Dollar auf weltweiten Schwarzkonten auf der einsamen Dracula-Farm zu finden. Aber diese Politfarce bleibt einfach nur eine Farce. Da ist es schon interessanter, dass gerade der chilenische Präsident Gabriel Boric den brüchigen Gesellschaftsfrieden aufgekündigt hat und den "Plan nacional de búsqueda" ausgerufen hat, um endlich die Staatsverbrechen unter Pinochet aufzuarbeiten und Opfer zu entschädigen. Das kostet Mut.
Weniger Mut kostet es am Lido ein T-Shirt zu tragen mit der Aufschrift: "Writers Guild on Strike" wie es der Regisseur und Jurypräsident Damien Chazelle bei seiner Pressekonferenz getan hat. Aber natürlich kann man nicht in die Köpfe der US-Regisseure und Stars reinschauen, ob dieser Autoren- und Schauspieler-Streik, der ihre Arbeit lahmlegt, wirklich ihre Solidarität hat.
Damien Chazelle gilt nicht erst seit "Lala Land" als verspielt. Und da ist die Frage, ob ihm Michael Manns "Ferrari" gefällt. Der 80-Jährige Amerikaner hat einen Rennsport-Film gedreht, der so wunderbar klassisch erzählt ist, dass er in seiner Männerlastigkeit wie aus der Zeit gefallen scheint.
Frauen sind hier nur Problemträgerinnen: wie Penélope Cruz als emotional verlassene Ehefrau von Enzo Ferrari, der nach dem Tod des gemeinsamen Sohnes weiter um den Erfolg des Familien-Autokonzerns kämpft. Erst am Ende des Films wird sie ihm mit ihrem 50-Prozentanteil an der Firma nicht mehr im Wege stehen, aber ihn erpressen, den Sohn, den er mit einer anderen Frau hat, mit der der zusammenziehen will, nicht anzuerkennen. Adam Driver ist als Enzo Ferrari eine interessante Besetzung, weil er immer auch etwas Weiches mitbringt und so Ferrari, einem eitlen und harten Strategen, sympathische Wärme verleiht, auch im Kampf mit seiner verhärmten Frau.
Aber natürlich spielt ein Großteil des Films auf Rennstrecken: die Kamera hat sich wie mit einem Spoiler am Boden festgesaugt und rast tiefergelegt mit, so dass man sich als Zuschauer mit in die engen Kurven legt, wenn die eleganten roten Rennwägen der 50er-Jahre durch die italienische Kulturlandschaft auf der Mille Miglia, der großen Rennstrecke durch Italien, sausen - einige Tote (Fahrer und Passanten) inbegriffen. Aber der Unternehmer führt instinkt- und siegessicher patriarchalisch seine Firma durch alle Fährnisse. Natürlich wirkt es, als ob gleich Steve McQueen aus dem roten Rennwagen steigen wird, aber es ist "nur" Patrick Dempsey.
So ist der bisher interessanteste Beitrag im Wettbewerb der eines Franzosen, der einen auf Englisch gedrehten und in New Jersey spielenden Extremfilm mit gewisser Massentauglichkeit präsentiert: Luc Bessons "Dogman" ist eine klassische Psychothriller-Geschichte, die in einem Verhörraum spielt. Nachts wird ein Mensch eingeliefert, die Streifenpolizisten hatten ihn mit seinem Kleinlaster angehalten - blutverschmiert und im Laderaum vielleicht zwei Dutzend Hunde, die nach dem Öffnen in der Nacht verschwanden.
Eine Psychologin wird beigezogen - und sie entblättert bei diesem Douglas ein Außenseiterleben, bei dem einem der Atem stockt: Als Junge wurde er von seinem religiös fanatischen und sadistischen Vater und dem älteren Bruder in den Hundezwinger gesperrt, wo der Vater Tiere für illegale Hundekämpfe hält. Die Mutter verlässt panisch die Familie. Nach einem Jahr völliger Verwahrlosung flieht der Junge mit den Hunden, kommt in eine Waisenhaus, erlebt zum ersten Mal Aufmerksamkeit durch Menschen und Bildung, verliebt sich, ist aber seit einer Gewalttat seines Vaters gehbehindert. Er sammelt streunende Hunde um sich, wird ein anonymer, durchaus auch Robin-Hood-hafter Gangsterpate eines Viertels, tritt als Transvestit und Chansonsänger in Clubs auf - bis bei einem blutigen Showdown mit einem Gangsterboss sein Leben in einer verlassenen Fabrikhalle mit seinen Komplizenhunden zusammenbricht.
Der Film ist in seiner schnüffelnden und beißenden Nähe zu den fantastisch abgerichteten Hunden nichts für Hundephobiker. Aber die Aussage ist klar: "Hunde sind die besseren Menschen" - treuer, sozialer, instinktiv gerecht und intelligent. Und dass toxische, brutale Männlichkeit bei diesem Opfer zu einer Ausweichbewegung ins Metrosexuelle bis Transsexuelle führt, ist hier nachvollziehbar behauptet.
Wer diesen Film gesehen hat, wird ihn nicht mehr vergessen - so bizarr und intensiv ist er. Und Caleb Landry Jones, der US-Musiker und Schauspieler, ist hier so stark zu erleben, wie es Joaquin Phoenix als Joker war.
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