Fast wunschlos

Simon Rattle und das BR-Symhonieorchester mit Mahler und Betsy Jolas in der Isarphilharmonie
von  Robert Braunmüller
Simon Rattle und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks beim Schlussapplaus.
Simon Rattle und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks beim Schlussapplaus. © Astrid Ackermann/BR

Schon das zweite Werk der anbrechenden Ära Rattle war - nach Haydns "Schöpfung" vor einer Woche im Eröffnungskonzert - stammte von einer Komponistin: der 97-jährigen Betsy Jolas. Das lässt sich als doppeltes Statement verstehen: zu Komponistinnen und zur Neuen Musik. Und das alles als Chefsache im Normalprogramm des BR-Symphonieorchesters. Auch wenn es das schon früher gegeben hat, so ist es doch am Beginn der Amtszeit ein starkes Statement.

Man mag über die schweifende, etwas zufällig aufblitzende Aphoristik ihres Stücks "Latest" geteilter Meinung sein: Mit dem Wissen, dass eine Symphonie von Gustav Mahler folgen würde, konnte man es wie Webern hören: als skizzenhafte Verdichtung einzelner Gesten, die anschließend im Monumentalformat ausgeführt wurden. Die virtuose Wendigkeit der Ausführung durften auch jene bewundert haben, die mit der Musik weniger bis nichts anfangen können.

Mahlers Sechste - die mit den Hammerschlägen - gerät als theatralisches Untergangsfurioso leicht außer Rand und Band. Rattle ging mit den Musikerinnen und Musikern des Orchesters sehr diszipliniert vor. Es war durchaus laut. Aber auch nur dann brutal, wenn es vom Komponisten so vorgesehen ist: etwa am Ende des ersten Satzes oder in einigen Momenten des Scherzos. Der massige, blechgepanzerte Klang dieser Symphonie blitzte. Und auch die feinsten Ornamente auf dieser stählernen Rüstung blieben sichtbar.

Rattle drängt stets vorwärts, was dem ersten Satz einen Sog verleiht. Die idyllische Almglocken-Episode durfte nicht richtig aufblühen. Was sich als auf das Finale gerichtetes Konzept verstehen lässt, ebenso wie der eher rasch genommene langsame Satz. Aber der ist nun mal kein Adagio, sondern ein Andante moderato. Trotzdem hätten die Misterioso-Episode und ähnliche Stellen aufblitzender Transzendenz und Zuversicht etwas mehr Ruhe vertragen können.

Die Reihenfolge der Mittelsätze ist unter Mahlerianern umstritten. Rattle wählte die unüblichere Variante, die das Scherzo zum Vorspiel zum Schlusssatz erklärt und den langsamen Satz an die zweite Stelle rückt. Weil die Bosheit, mit der die nette Ländlermelodie kaputtgetrampelt wird, in aller sinistren Schwärze ausgespielt wurde, wirkte das allerdings konsequent: als groteskes Vorspiel zur abschließenden Weltuntergangsmusik.

Auch im Finale blieb Rattle seinem Prinzip treu, die Emotionalität der Musik nicht noch zusätzlich aufzuladen, sondern sie vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auf höchstem spieltechnischen Niveau nachzeichnen zu lassen.

Die leicht komischen oder peinlichem Hammerschläge wurden krachend, aber zugleich sehr diskret ausgeführt. Sie missrieten nicht zur Wiesn-Gaudi. Ohnehin legte Rattle den Akzent stärker auf die Musik des Zusammenbruchs, die darauf folgt. Beim finsteren Choral, der dem Todesschuss auf den symphonischen Helden vorausgeht, drängte sich nur ein Wunsch auf: Manchmal mehr Ruhe wagen! Dann wird aus einer jetzt schon mitreißenden und technisch wie konditionell glänzenden Mahler-Deutung eine, die wunschlos glücklich macht.

Noch einmal am Samstag, 30. September um 19 Uhr in der Isarphilharmonie

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.