Fasching im Weltall

Der Regisseur Stefan Herheim rückt Richard Strauss’ „Rosenkavalier“ an der Stuttgarter Oper in die Nähe einer Operette von Jacques Offenbach. Erstaunlicherweise funktioniert es
von  Abendzeitung

Der Regisseur Stefan Herheim rückt Richard Strauss’ „Rosenkavalier“ an der Stuttgarter Oper in die Nähe einer Operette von Jacques Offenbach. Erstaunlicherweise funktioniert es

Darauf muss man erst einmal kommen: Nachdem er des Feldes verwiesen wird, besteigt Baron Ochs auf Lerchenau grimmig eine Rakete – und „puff“ geht’s ab ins Weltall. Zuvor war die Marschallin mit einem Lichterkranz wie Mozarts Königin der Nacht vom Himmel geschwebt, um nach dem Rechten zu sehen. Für Ochs, den adligen Brautwerber, endete die Wiener Maskerade bekanntlich als Desaster. Der norwegische Senkrechtstarter Stefan Herheim, der an der Staatsoper Stuttgart die Oper von Richard Strauss inszenierte, wurde dagegen bejubelt.

Die wenigen Buhs ließen sich verschmerzen. Sie galten womöglich dem herrlich anarchischen Versuch, statt staatstragender Musik-Komödie eine leicht groteske Operette im imaginären Raum zu wagen. Richard Strauss kann das vertragen, vor allem, wenn man so fantasievoll pfiffig zu Werke geht wie Herheim.

Logik ist seine Sache nicht. Denn wie ließe sich schon glaubhaft erklären, dass der „Rosenkavalier“ vielleicht ja sogar in Götterkreisen spielt: Die Stuttgarter Marschallin ist eine entführte Europa, Ochs auf Lerchenau steht für die mythologische Kraft des Eros. Menschen schlüpfen in Tierkostüme und tragen Teufelshörnchen – irre Gestalten scheinen einem Gemälde von Rubens entstiegen, wuseln, wie von Fellini erdacht, über die Bühne.

Die Musik hält es erstaunlicherweise aus

Fasching im Weltall. Doch wenn es um die Emotionen der überraschend eindringlich singenden Hauptakteure geht, wird die Regie wunderbar zahm. Ob Marschallin (Christiane Iven), Ochs (Lars Woldt) Octavian (Marina Prudenskaja) oder Sophie (Mojca Erdmann) – sie alle werden behutsam durch ihre diversen Befindlichkeiten geleitet. Herheim kann nicht nur protzig klotzen, sondern auch überzeugend gestalten. Und vor allem: Er stört nicht die Musik, die beim Stuttgarter GMD Manfred Honeck diesmal besonders gut aufgehoben ist.

Als sich allerdings Octavian, nicht mehr ganz nüchtern und im Mariandl-Kostüm auch nicht wirklich glücklich, an die Bühnenrampe setzt, die Beine in den Orchestergraben baumeln lässt und textgetreu sinniert: „Menschen san ma halt, richtns net mit Gwalt…“ tönt es lautstark vom Dirigentenpult: „Jessas na, jetzt hat sie’s erwischt.“ Und nach einer kurzen Pause: „Wollen wir weiter singen?“ Ein vorbereiteter Gag, aber er sitzt.

Dass bei allem Aktionismus die musikalische Seite immer zu ihrem Recht kommt, ist das Herausragende dieser heiteren, sehens- und hörenswerten Produktion. Pan, der die Strippen zieht, hat im Übrigen auch die finale Pointe. Er findet das von Sophie verlorene Taschentuch. Doch bevor er es ihr bringen kann, fällt er tot um – wegen des Verzehrs der Glasscherben eines Spiegels, den die Marschallin Stunden zuvor aus Frust zerbrochen hat. Das konnte ja nicht gut gehen.

Volker Boser

Stuttgarter Staatsoper, wieder am 5., 11., 15. Nov. und 13., 23., 27. Dez. Tel. 0711 / 20320

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