Farbrausch mit Verstand

Die Ausstellung des Jahres - "Absolut. Abstrakt": 92 hochkarätige Leihgaben machen Kandinsky im Kunstbau des Münchner Lenbachhauses zum Ereignis
von  Abendzeitung

Die Ausstellung des Jahres - "Absolut. Abstrakt": 92 hochkarätige Leihgaben machen Kandinsky im Kunstbau des Münchner Lenbachhauses zum Ereignis

Er war der Großmeister der Abstraktion, hat die konsequente Entwicklung von den figurativen Anfängen über allmähliche Loslösung vom Motiv hin zu einer gegenstandsfreien, aber nicht inhaltsleeren Kunst vollzogen. Und er hat seinen fast religiösen Glauben an eine „absolute Malerei“, in der Farbe, Form und Linie immer neu zueinander finden, auch in der Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ (1912) untermauert.

Doch zu Lebzeiten war ihm kein großer Ruhm vergönnt. Erst posthum wurde Kandinskys Bedeutung für die Malerei des 20. Jahrhunderts anerkannt, er als Jahrhundertgenie (neben Picasso) gefeiert. Heute liegt der Wert seiner Werke im zweistelligen Millionenbereich. Das Lenbachhaus widmet Wassily Kandinsky (1866 – 1944), dessen von der russischen Volkskunst geprägten Anfänge und erste große Erfolge in München liegen, jetzt eine mit 92 Gemälden bildmächtige Retrospektive. Zu sehen ist sie ab Samstag im Kunstbau; im Lenbachhaus werden zusätzlich die Druckgraphik sowie die Bilder der Murnauer Zeit im Kontext des „Blauen Reiters“ gezeigt.

Der 1966 in Moskau geborene Großbürgersohn (der Vater leitete eine Teehandelsgesellschaft) führte ein unruhiges Künstlerleben zwischen Moskau, Odessa, München und Paris, entzweigeschlagen von zwei Weltenbränden, in dem allein seine disziplinierte Arbeit sicheren Halt bot. Er ließ zwei Frauen sitzen, musste den einzigen Sohn mit seiner dritten und letzten Frau Nina knapp dreijährig zu Grabe tragen, und dreimal emigrieren. Immerhin blieb er im Gegensatz zu seinem Freund Franz Marc vom Krieg an Leib und Leben verschont.

Mit Gabriele Münter im Murnauer "Russenhaus"

Kandinsky schloss in Moskau ein Jurastudium ab, ehe er 1896 nach München ging, um an der privaten Kunstschule Anton Azbe zu studieren. Erst im zweiten Anlauf wurde er bei von Stuck an der Akademie angenommen. Mit seiner ersten Frau Anja wohnte er bis 1904 in der Schwabinger Friedrichstraße 1, mit der späteren Lebensgefährtin Gabriele Münter in der Ainmillerstraße 36, ehe das Paar 1909 in Murnau ein kleines Haus kaufte, dort bald „Russenhaus“ genannt.

In Münchens damals brodelnder Kunstszene war Kandinsky höchst aktiv, gründete 1901 die Vereinigung „Phalanx“, 1902 die gleichnamige Malschule. 1909 formierte er sich gemeinsam mit Alexej von Jawlensky, Marianne Werefkin und Münter zur Neuen Münchner Künstlervereinigung – wovon sich im Dezember 1911 der „Blaue Reiter“ abspaltete. Ursache war Kandinskys fast abstrakte „Komposition V“, die von der NMKV für eine Ausstellung abgelehnt worden war. So gründete er mit den Freunden Marc, Alfred Kubin und Münter den „Blauen Reiter“.

Die für München bedeutende „Komposition V“ ist heute im Besitz von Ronald S. Lauder, hängt bei ihm über dem Kamin in New York – und da ist sie auch geblieben.

Malen wie Schönberg komponiert

Dafür kann man Meisterwerke, wie die „Komposition IV“ (1911) aus der Kunstsammlung NRW, die atemberaubende „Fuga“ (1914) der Fondation Beyeler oder das Spätwerk der merkwürdig „Zarten Spannungen“ (1942) aus der Londoner Sammlung Shaffran bestaunen.

Anhand der Exponate lässt sich Kandinskys künstlerischer Weg nachvollziehen. Da sind die Impressionen, die einen „Eindruck äußerer Natur“ wiedergeben; etwa „Impression III“, die sich auf ein Schönberg-Konzert 1911 im Münchner Odeon bezieht: Ein Farbakkord in Gelb, Rot, Blau Schwarz und Weiß, in dem ein schwarzer Flügel erkennbar bleibt. Dieses Erlebnis bedeutete für Kandinsky eine Initiation, die Analogien zwischen Malerei und Musik, das Prinzip der Dissonanz, fesselten ihn. So sehr, dass er dem Komponisten einen Brief schrieb – woraus sich ein reger Austausch entwickelte, und Kandinsky Bilder Schönbergs in der ersten „Blauen-Reiter“-Schau zeigte. Musikalisch klingen auch Kandinskys Improvisationen, die eine innere Wirklichkeit widerspiegeln, in denen man wiederkehrende symbolische Figuren, etwa einen Reiter oder Mann im Boot, erkennen kann. Königsdisziplin aber war die Komposition, „mit dem Verstand geordnet“, emotional verdichtet.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges am 1. August 1914 vertrieb Kandinsky aus der bayerischen Idylle, er reiste zwei Tage später nach Moskau aus – ohne Gabriele Münter. Sein Einkommen aus einem Mietshaus gestattete ihm zunächst einige Annehmlichkeiten; künstlerisch blieb der Bourgois den Kollegen suspekt. 1921 reiste er mit Nina nach Berlin aus – wo ihn Gropius rettete, indem er ihn ans Bauhaus holte.

Das hermetische Spätwerk

Diese Phase bis 1933 ist die am schwersten zugängliche. Die Werke der Bauhaus-Zeit wirken ornamental, angesichts früherer Farbklänge aber verkopft und blutleer. Nach der Schließung des Bauhauses durch die Nazis ging Kandinsky nach Paris. Mit seiner dritten Frau Nina lebte er bis zu seinem Tod 1944 isoliert in einer Dreizimmerwohnung in Neuilly. In Deutschland galt er als „entartet“, an der Seine schottete er sich ab, nahm den Krieg kaum wahr – was so weit ging, dass er den Brand der Renault-Werke für ein Feuerwerk hielt.

Von Isolation und Entfremdung scheint denn auch das hermetische Spätwerk zu sprechen, in dem amöbenhafte Formen losgelöst im Äther schweben. Sonderbar, fast bizarr in ihrer pedantischen Akkuratesse. Formal ihrer Zeit weit voraus.

Roberta De Righi

Di - So 10 - 22 Uhr, Heilig Abend, 24.12.08 geschlossen, Silvester 10 - 16 Uhr. Bei starkem Besucherandrang kann es zu Einlassbeschränkungen kommen.

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