Fanny Ardant über "Im Herzen jung"

Die Schauspielerin über Beziehungen ungleich alter Menschen und ihren neuen Film
von  Margret Köhler
Fanny Ardant als Shauna und Melvil Poupaud als Pierre in einer Szene des Films "Im Herzen jung".
Fanny Ardant als Shauna und Melvil Poupaud als Pierre in einer Szene des Films "Im Herzen jung". © picture alliance/dpa/Alamode Film

Sie verzaubert und bezaubert: Fanny Ardant, einst Muse und Lebensgefährtin von François Truffaut und "Grande Dame" des französischen Films braucht keine Schönheits-OP. Auch mit 74 Jahren bringt sie die Leinwand zum Leuchten und ist "Im Herzen jung".

In Carine Tardieus außergewöhnlichen Liebesgeschichte verliebt sie sich als 70-Jährige frühere Architektin Shauna in einen 45-Jährigen verheirateten Arzt, dargestellt von Melvil Poupaud. Im Zoom-Interview betont sie sanft und wissend lächelnd, gegen Liebe sei man in keinem Alter gefeit.

AZ: Frau Ardant, was ging Ihnen beim Lesen des Drehbuchs durch den Kopf?

FANNY ARDANT: Ich war gespannt, wie die Geschichte ausgeht und habe das Drehbuch in einem Rutsch gelesen. Immer ein gutes Zeichen. Regisseurin Carine Tardieu suchte eine Frau in meinem Alter ohne Schönheitsoperationen, die ich übrigens nie machen lassen würde. Meine Vorbedingung war: Keine Nacktszenen. Und da hat sie mich sofort beruhigt.

Lehnen Sie aus Prinzip solche Szenen ab?

Nein, aber ich war immer schon sehr schüchtern, empfand mich nie attraktiv und fühle mich in meinem Körper nicht wohl, würde mich nie trauen, alleine einer Disco vor den Augen anderer zu tanzen. Ich kann Rock'n'Roll tanzen oder Tango, das geht nur mit einem Partner. Unvorstellbar für mich, einen Typen anzumachen und einfach zu sagen "Hallo, was ist"?

"Im Herzen jung" ist ein romantisches und bewegendes Melodram. Ist diese späte Liebe zwischen einer 70-Jährigen und einem 45-Jährigen eine Utopie oder realistisch?

Eine "Amour fou" fegt wie ein Tsunami über alle Regeln und Konventionen hinweg. Da muss man sich mutig reinstürzen, darf keine Angst haben. Vor der Liebe ist man in keinem Alter gefeit und ohne Risiko gibt es keine Liebe. Ich frage mich, woher heute noch die Vorurteile kommen, warum die Gesellschaft trotz allem Toleranzgerede oft so eine Beziehung skandalisiert. Dabei haben solche Altersunterschiede schon immer existiert, auch in der Literatur, denken Sie an Balzac oder Colette. Es geht ja nicht um die in USA "cougar" genannten Frauen, die jüngere Männer als Jagdtrophäe betrachten. Zwischen Pierre und Shauna entwickelt sich eine tiefe Liebesbeziehung, eine Passion. Sie sind nicht sofort ins Bett gestiegen. Der jüngere Mann ergreift die Initiative, verführt sie. Liebe ist immer auch eine Seelenverbindung. Die körperliche Attraktion folgt später.

In "Die schönen Tage" von Marion Vernoux spielten sie eine 60-jährige verheiratete Zahnärztin, die sich in eine prickelnde Affäre mit einem 20 Jahre jüngeren Lover wirft. Irgendwie ähnlich, oder?

Das dürfen Sie nicht vergleichen. Da genießt die Frau eine rein sexuelle Liaison mit einem Womanizer, der nur ein Abenteuer sucht. Sie erlebt ein paar "schöne Tage" ganz ohne große Gefühle. Das kann ja auch mal nett sein.

Können Regisseurinnen solch ein "Frauenthema" sensibler umsetzen als Regisseure?

Ich bin gegen Verallgemeinerungen. Ob Mann oder Frau ist egal, es geht um männliche und weibliche Sensibilität. Man muss bei so einem Thema die weibliche Verletzbarkeit und Fragilität kennen. Männer, die Frauen lieben, wissen darüber Bescheid.

Gehört ihr Filmpartner Melvil Poupaud zu dieser Kategorie?

Ich erinnere mich, bei unserem ersten Treffen, einer Lichtprobe, habe ich ihn gefragt, ob er Angst vor mir hat und er antwortete aus tiefstem Herzen "Nein". Ein total sympathischer Typ, sehr feinsinnig und sehr intelligent. Sein Blick bringt die Figur der Shauna zum Leuchten. Wir haben viel über Bücher diskutiert und auch einige Gläser Wein getrunken. Uns verband mehr als das übliche Verhältnis zwischen einem Schauspieler und einer Schauspielerin. Im Idealfall springt man gemeinsam in einen Abgrund. Eine ähnliche Erfahrung hatte ich 1981 bei "Die Frau nebenan" mit Gérard Depardieu, da war auch dieses gegenseitige Verstehen, das Vertrauen. Es geht darum, mitgenommen zu werden. Wissen Sie, man tanzt nicht gut alleine.

Die Konstellation ältere Frau und jüngerer Mann gilt in Promikreisen nicht mehr unbedingt als Tabu, denken Sie an Ihren Präsidenten Emmanuel Macron und seine Frau Brigitte. Sind diese Beziehungen auch Zeichen von Emanzipation, Resultat der Frauenbewegung in den 1970er Jahren, die Sie damals an der Uni erlebt haben?

Es liegt in der Verantwortung einer jeden Frau, so zu leben wie sie will. Freiheit nimmt man sich, die ist kein Gnadenakt oder ein Geschenk. Soll mich etwa eine feministische Bewegung motivieren, meine Wünsche auszuleben? Das muss ich schon selbst machen. Der Wille zur Freiheit ist keine Mode. Ich habe die Frauenbewegung an der Uni erlebt. Natürlich lag einiges im Argen. Ich erinnere mich, wie eine Freundin von mir damals auf die Frage nach ihren Zukunftsplänen und Träumen völlig unbedarft antwortete, sie wolle sich in einen Mann verlieben, eine Familie gründen und sich um ihn und die Kinder kümmern. Also ganz traditionell Kochtopf und Kinder. Ich hätte ihr am liebsten vor Zorn den Kopf abgerissen. Solche spießigen Tendenzen haben mich nie gereizt.

Waren Sie in Ihrer Jugend Feministin?

Ich bin mit bemerkenswerten Männern aufgewachsen, mein Vater, die Onkeln oder Cousins... Meine Mutter, meine Tanten, alle Frauen der Familie wurden mit Respekt behandelt. Vielleicht war ich deshalb keine Feministin. Wenn ich in einem anderen Land oder sozialen Umfeld aufgewachsen wäre, wäre das vielleicht anders.

Sie sind in Theater, Oper und Film zu Hause. Wofür schlägt Ihr Herz am meisten?

Als Schauspielerin bin ich da wie eine Frau hin- und hergerissen zwischen ihrem Mann und ihrem Liebhaber. Mich reizen fremde Universen, die Entdeckung von Neuland. Die Magie des Kinos mit seinem dunklen Raum kann nichts so schnell ersetzen, auch Netflix & Co. nicht. Ich gehe oft zweimal die Woche ins Kino und gucke mir alles an, vom Thriller über Komödie bis Arthausfilm.

Sie haben mal gesagt, Schauspielerei hieße, das Leben intensiv zu lieben. Können Sie sich vorstellen, eines Tages nicht mehr zu arbeiten?

Solange meine Liebe zum Spielen brennt, höre ich nicht auf. Sobald ich am Set vor der Kamera stehe, spüre ich diesen Adrenalinstoß, bin total elektrisiert. Bei Dreharbeiten schaffen wir uns eine kleine Welt auf Zeit. Deshalb sollte man jeden dort Tag wie ein Fest feiern, auch wenn man mal einen schlechten Tag hat. Ich fühle mich irgendwie nicht als professionelle Schauspielerin, weil ich lieber eine kleine Rolle in einem großen Film wähle, statt eine große Rolle in einem schlechten Film. Ich wollte nie gefallen, sondern geliebt und geschätzt werden. Und nichts liegt mir ferner als den Zuschauer bekehren, belehren oder mit der Moralkeule zu kommen. Ich mag aufrührerische Menschen, die etwas bewegen. Nichts ist schlimmer als Stillstand.

Nicht nur in "Im Herzen jung" trauen Sie sich was. In Filmen wie "Die schönen Tage" lassen Sie sich mit einem jüngeren Womanizer ein, in Lola Pater" sind Sie eine Transsexuelle... Sind Sie in den letzten Jahren couragierter geworden?

Die Frage müssen sie den Regisseuren stellen, die sehen mich plötzlich anders. Ich mag es, wenn jemand völlig neue Seiten aus mir herauskitzelt. Vielleicht habe ich aber auch heute weniger Angst. Wenn man mich fragt, mit welchen Regisseuren ich gerne gearbeitet hätte, würde ich das nie sagen. Es ist toll, ausgewählt zu werden. Das ist wie in der Liebe, wenn man einen Mann anfleht oder bittet, "liebe mich", ist der ganze Zauber weg.

Sie haben selbst schon Regie bei Opern und Filmen geführt. Arbeiten Sie auf dieser Schiene weiter?

Ein Drehbuch liegt in der Schublade. Einen Film vorzubereiten dauert länger, als die eigentliche Fertigstellung. Produzenten überzeugen, Geld auftreiben... Man muss abwarten.

"Im Herzen jung" kommt am 3. August in die Kinos

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