Familientreffen

Der neue Roman „Die Box“ des Nobelpreisträgers schildert Autobiografisches aus der Sicht der Kinder
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Der neue Roman „Die Box“ des Nobelpreisträgers schildert Autobiografisches aus der Sicht der Kinder

Diesmal gibt es um das neue Buch keinen Skandal: Zwar setzt Günter Grass mit „Die Box“ seine Reihe autobiografischer Werke fort. Wer aber eine Enthüllung erwartet - wie Grass' Mitgliedschaft in der Waffen-SS in „Beim Häuten der Zwiebel“ – wird enttäuscht sein. Der autobiografische Roman beschreibt die Alltäglichkeiten einer Patchworkfamilie. Vielleicht gerade deswegen ist es sein bisher persönlichstes Buch.

Grass erzählt aus der Sicht von acht Kindern, die über ihren Vater sprechen. Dieser hat sie dazu ermuntert: „Es war einmal ein Vater, der rief, weil alt geworden, seine Söhne und Töchter zusammen“ – mit diesem Satz beginnt das Buch, und in diesem Stil geht es auch weiter. Alltagssprache, unvollständige Sätze, weil sich die Kinder gegenseitig ins Wort fallen, Vereinfachungen: „Die Box“ sind in Buchform gegossene Familientreffen.

Schräger Dixie in Stockholm

Die älteren Kinder fangen an. Es geht um die Zeit nach dem Krieg, die Jahre in Berlin. Vom Leben auf dem Land – Grass wohnte von 1972 bis 1987 in Schleswig-Holstein, hielt sich dann längere Zeit in Indien auf und lebt seit 1985 in der Nähe von Lübeck – erzählen die jüngeren Kinder. Die Geschichte reicht bis in die 90er Jahre hinein. Auch die Verleihung des Literaturnobelpreises 1999 in Stockholm kommt vor. „Mit mir hat er getanzt, weil die Band im Schloss extrem schrägen Dixie drauf hatte...“, sagt eine der Töchter.

Der Schriftsteller hat das Buch Maria Rama gewidmet. Die 1997 gestorbene Fotografin war viele Jahre lang mit Grass befreundet. Im Buch spekulieren die Kinder, ob die zwei wohl einmal etwas miteinander gehabt haben könnten. Roter Faden ist „Die Box“, eine in den 50er und 60er Jahren sehr populäre Kamera der Marke Agfa. Und natürlich „Knipsmalmariechen“, die mit der Box unzählige Fotos aus Grass' Leben festgehalten hat. Mit ihrer Wunderkamera hat sie Bilder gemacht, von denen sich der Vater für seine Bücher inspirieren ließ. Die Bücher waren Mittelpunkt seines Lebens, nicht sie oder ihre Mütter, stellen die Kinder etwas verbittert fest. Immer hatte er etwas anderes im Kopf, immer etwas aufzuarbeiten.

Ein leises Buch

Wo die Box geblieben ist und die vielen Bilder, die „Knipsmalmariechen“ gemacht hat, wissen die Kinder nicht. „Schon regt sich flüsternd Verdacht, er (der Vater), nur er habe Mariechen beerbt und die Box – wie anderes auch – bei sich versteckt: für später, weil immer noch was in ihm tickt, das abgearbeitet werden muss, solang' er noch da ist...“, endet der Roman. Eine Anspielung von Grass, dass die Geschichte weitergehen wird?

„Die Box“ ist ein leises Buch – verglichen mit dem Werk „Beim Häuten der Zwiebel“ (2006), das wegen Grass' Bekenntnis, Mitglied der SS-Panzerdivision „Frundsberg“ gewesen zu sein, für viel Aufsehen sorgte. Es ist eine Familiengeschichte. Sie wirkt wie der Versuch eines Vaters, sich den erwachsenen Kindern aus verschiedenen Frauenbeziehungen zu nähern.

Er will Ehrlichkeit, und er bekommt sie auch: „Unausgesprochenes liegt in der Luft. Nur langsam fädeln die Geschwister sich in die Wirrnisse ihrer Kindheit, reden rückfällig, sind mal aufgekratzt, mal übellaunig, bestehen darauf, noch immer verletzt zu sein“, schreibt der Autor. Wer das Buch gelesen hat, würde gerne Mäuschen spielen beim nächsten Grass'schen Familientreffen.

Susanne Gabriel

Günter Grass, "Die Box", Steidl Verlag, 32 Euro

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