Familiäre Erkundungen

In ihrem Romandebüt „Alles Verbrecher” stellt Katharina Eyssen eine junge Protagonistin in den Mittelpunkt, die den Geheimnissen ihres Großvaters nachspürt
von  Kathrin Kaiser

Ein rot-samtener Hotelflur, durch den barfuß ein kleines Mädchen läuft. Eine junge Frau in einem dunklen Militärmantel, ihre schöne schlanke Mitbewohnerin, die nur in Unterhose in der Küche steht und Kaffee macht. Ein adretter älterer Herr in Mokassins und Leinenhose in einem sonnigen Straßencafé. Mit diesen Bildern beginnt Katharina Eyssens Debütroman „Alles Verbrecher”.

Sie alle hängen irgendwie mit dem Großvater der Protagonistin zusammen. Der ist gestorben, in Caracas. Viel hatte Marie nicht mit ihm zu tun in den Jahren vor seinem Tod, fasziniert hat er sie jedoch ihr Leben lang. Er war der große Exot der Familie. Zwischen lauter verbitterten, zur Depression neigenden Frauen schien er der Einzige zu sein, der es geschafft hat, glücklich zu sein. Als spitzbübischer Kosmopolit und Lebemann sprach er „die Sprache jeder Kneipe und der meisten Frauen”. Sogar Catherine Deneuve will er einmal geküsst haben.

Diese verführerische Catherine Deneuve im rot-samtenen Hotel zieht sich wie ein sehnsuchtsvolles Leitmotiv durch den ganzen Roman. Die Geschichten des Großvaters werden zur Projektionsfläche für Maries eigene Sehnsüchte, lassen farbintensive Bilder entstehen, in Maries Kopf und in dem des Lesers.

Der Drang, mehr über ihren Großvater herauszufinden, führt Marie schließlich nach New York. Sie findet dort eine alte Frau und einen jungen Mann, die ihren Großvater kannten. Mit ihnen taucht Marie ein in eine film-noir-hafte Halbwelt voll abgedunkelter Zimmer, Drogen und stilisierter Gespräche.

„Alles Verbrecher" ist die Geschichte einer jungen Frau auf der Suche nach sich selbst. „Im Alter zwischen Anfang und Mitte zwanzig ist das ja ganz typisch, dass man anfängt, sich mit seiner Familie auseinanderzusetzen”, sagt die 27-jährige Katharina Eyssen. „Man will wissen, wo man herkommt und warum alles so ist, wie es ist."

Das findet ihre Heldin Marie am Ende nicht wirklich heraus. Aber der Leser erfährt in unzähligen Zeitsprüngen und Erinnerungsbildern doch so viel über Maries Familie, dass er intuitiv zu begreifen beginnt, warum sie so unruhig, so suchend ist. Der Großvater bleibt dabei der mysteriöse Fremde, den eigentlich niemand so richtig gekannt hat.

Maries kleiner Ausflug in diese andere Welt, die vielleicht auch ein bisschen die ihres Großvaters war, ist abgeschlossen, und eigentlich hat sich gar nichts verändert. Nur das Gefühl ist am Ende ein anderes. Die wartend-suchende Unruhe vom Anfang ist zu einer versöhnlichen Akzeptanz geworden. Die Dinge sind nun mal, wie sie sind und das ist nicht schlecht so.

Ihre Figuren skizziert Katharina Eyssen mit wenigen Strichen, ihre Geschichte erzählt sie in klaren Bildern. Man merkt, dass sie eigentlich vom Drehbuch kommt. Als Tochter der Regisseurin Vivian Naefe und des Drehbuchautors Remy Eyssen ist sie in einer Filmfamilie aufgewachsen. Vor einem Jahr hat sie ihr Studium an der Münchner Filmhochschule abgeschlossen. Die Ermutigung, einen Roman zu schreiben erfuhr sie an der Hochschule durch Doris Dörrie, ihre Dozentin für kreatives Schreiben.

Katharina Eyssen jedenfalls ist ein echter Gewinn für die junge deutsche Literaturszene.

„Alles Verbrecher” (btb, 240 Seiten, 17.99 Euro)

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.