Falsche Gastfreundschaft
Die Nachfrage bei „Klassik am Odeonsplatz“ schwächelt nicht wegen der Krise, sondern weil die Chefdirigenten beider Orchester dieses Volksfest der Musik nicht ernst genug nehmen
Es ist ein offenes Geheimnis, dass der Kartenverkauf bei „Klassik am Odeonsplatz“ heuer hinter den Erwartungen der Veranstalter zurückblieb. Besonders das Konzert der Münchner Philharmoniker am Sonntag mit den bezaubernden Klavierschwestern Katia and Marielle Labèque lief nicht besonders.
Vielleicht lockt das zunehmend bessere Wetter noch Kurzentschlossene. Selbst an kühlen Tagen bleibt die Temperatur zwischen der Residenz und Theatinerkirche angenehm. Der Sound ist gut, und dank des Bildschirms ist der Zuschauer näher dabei als in der Philharmonie.
Konkurrenz lähmt das Geschäft
Richtig wundern braucht sich über den geschwundenen Zuspruch niemand: Vor dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks am Sonntag und den Münchner Philharmonikern buhlte noch Anna Netrebko mit Dmitri Hvorostovsky am Königsplatz um des Kartenkäufers Gunst.
Sogar Gerüchte über ein drohendes Aus für das Klassik-Event am Odeonsplatz kursieren. Davor sollten die Verantwortlichen darüber nachdenken, ob die sinkende Nachfrage nicht mit einem Überangebot zusammenhängt: Die Pianistin Hélène Grimaud, Solistin des ersten Abends, gastierte schon im November, März und Juni in München. Stars machen sich rar. Semyon Bychkov stand erst vor kurzem am Pult der Philharmoniker. Die Erfahrung lehrt, dass Französisches wie Poulencs Konzert für zwei Klaviere bei uns nicht wirklich populär ist.
In VBerlin, Nürnberg und an der Staatsoper sind solche Konzerte Chefsache
Auch ein Blick nach Berlin könnte helfen: Hier dirigiert Simon Rattle seine Berliner Philharmoniker auf der Waldbühne. Auch bei Nürnbergs Symphonikern und Philharmonikern ist der Luitpoldhain Chefsache. Nicht anders hielten und halten es Zubin Mehta und Kent Nagano bei den Festspielkonzerten der Staatsoper seit 1999.
Münchens Konzert-Orchester lassen lieber Gäste ran. Aber das in ganz München mit seinen Initialen plakatierte Markenzeichen der Philharmoniker ist nun einmal Christian Thielemann. Er hat mit den Bayreuther Proben eine gute Ausrede und bequemte sich widerwillig nur voriges Jahr wegen des Stadtjubiläums. BR-Chefdirigent Mariss Jansons hat schon mehrfach am Odeonsplatz dirigiert. Wer vom steuerzahlenden Volk einen neuen Konzertsaal haben möchte, sollte die Öffentlichkeit nicht übermäßig scheuen. Und warum schaffen der Rundfunk und die Stadt nicht, was die Staatsoper und Nürnbergs Orchester hinbekommen? Sollte dieses Volksfest der Musik nicht wie „Oper für alle“ kostenlos sein?
Robert Braunmüller