Experiment am Heiligtum: 13 Beatles-Alben aufgepeppt
Fast 40 Jahre nach der Auflösung der Beatles kommen alle 13 Originalalben als technisch aufgepeppte „Remasters“ auf den Markt. Frevel am Heiligtum? Das Vergnügen ist jedenfalls teuer. Die AZ hat vorab reingehört.
Von Frank Müller
Jeder fünfte Mensch besitzt statistisch gesehen eine Beatles-Platte. 1,3 Milliarden verkaufte Exemplare – das ist noch immer Rekord. Doch genug ist nicht genug: Ab nächster Woche werden diese Zahlen noch einmal kräftig steigen. Während überall sonst das Ende der CD und des Musikgeschäfts besungen wird, kommt ausgerechnet eine vor knapp 40 Jahren aufgelöste Band mit einem noch nie dagewesenen Schub: 30 neue Tonträger werfen die 1970 aufgelösten Beatles nächsten Mittwoch auf den Markt. Und weil der 9. 9. 09 so ein schönes Datum ist, wurde dieser Tag auch noch zum „Welt-Beatles-Tag“ erklärt.
Die Aktion spaltet die Musikwelt: „Muss das sein?“, gähnen die einen. „Hurra“, schreien die anderen, die Fans, deren Hunger nach frischem Material niemals zu stillen ist. So oder so: Es handelt sich um nichts weniger als um eine Manipulation am genetischen Code des Pop. Der ganze Beatles-Katalog kommt in neuer Version auf den Markt. Alle 13 Alben, jedes für sich ein kleines Heiligtum, wurden neu bearbeitet. Sie kommen als so genannte „Remasters“ in die Geschäfte.
Das Versprechen dahinter klingt großspurig: „Wir haben die Möglichkeit geschaffen, die Alben der Beatles so hören zu können, wie sie sich seinerzeit selbst gehört haben“, sagt Toningenieur Steve Rooke. Er hat gemeinsam mit sieben Kollegen vier Jahre lang die alten Bänder durchforstet, bereinigt, veredelt und kräftig aufpoliert. Remastern nennt sich dieser Prozess: die Originalbänder aus dem Tresor in den legendären Londoner Abbey-Road-Studios nehmen und sie mit modernster Elektronik, aber auch alten Studiogeräten so aufpeppen, dass ihr Sound dem entspricht, was heutzutage möglich ist.
Den Eingriff in den Original-Mix haben sich die Ingenieure jedoch versagt. Perfektionieren statt neu zusammensetzen – das ist die Devise. Und auch das ist schon heikel genug beim Umgang mit dem künstlerischen Nachlass der Beatles. Denn noch immer gilt deren während der acht gemeinsamen Studiojahre geschaffenes Werk als Kanon des Pop. Stars und Hits kommen und gehen, das Oeuvre von John, Paul, George und Ringo aber bleibt.
Und die Fans wachen eifersüchtig über jedes Detail. Sie wissen genau, wie der berühmte Piano-Schlussakkord aus „A Day In The Life“ zu klingen hat oder was das elektrisierende Gefühl am Gitarrenstart von „A Hard Day’s Night ausmacht. Den Soundbastlern aus der Abbey Road ist das sehr wohl bewusst: „Stehen Sie bereits unter Personenschutz?“ lautete die Einstiegsfrage eines Interviews der „Welt“ mit Rooke. Von den „Kronjuwelen des Pop“ spricht der „Spiegel“.
Die Erwartungen sind also extrem. Jetzt hatten Journalisten erstmals in Deutschland die Gelegenheit, in das Resultat hineinzuhören: bei einer Vorspielaktion in vier deutschen Städten, darunter München. Das Ergebnis ist faszinierend: Klassiker wie „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ und „Come Together“ entwickeln erstaunlichen Druck und deutlich mehr Kraft. Alles klingt insgesamt schärfer und schneidender. Dazu kommt das ein oder andere Aha-Erlebnis: eine Orgel auf „Something“, die man so noch nie wahrnahm. Oder Gesangsphrasierungen auf „Eight Days A Week“, die man bislang nur erahnen konnte.
Wer Musik nur am Küchenradio oder mit Billig-Ohrstöpseln hört, der braucht das nicht unbedingt. Wer aber Fan ist und gute Kopfhörer oder Lautsprecher hat, der steht vor einer Offenbarung.
Genügt das, um das neue Material zum Verkaufshit werden zu lassen? Das Vergnügen ist teuer: Wer die komplette Neuauflage etwa bei amazon.com vorbestellt, ist mit mehr als 400 Euro dabei. Dafür erwirbt er dann zwei CD-Boxen: eine für den Original-Mono-Mix der LPs, die andere für die nachgereichte Stereovariante. Es gibt aber alle CDs auch einzeln. Ob das Material irgendwann auch zum downloaden, bleibt offen: die Verhandlungen stocken.
Wer dann noch Geld übrig hat, der kann sich noch ein ebenfalls ansprechend geratenes Computerspiel ins Haus holen: „The Beatles Rock Band“. Für 200 Euro bekommt man im Beatles-Stil gehaltene Plastikinstrumente und darf damit am Monitor bei den Fab Four richtig mitspielen.
Die Chancen stehen nicht schlecht, dass all das zum Knüller im Weihnachtsgeschäft wird. Denn einerseits hat sich die Beatles-Gemeinde schon wiederholt als zahlungskräftig und kaufwillig erwiesen (siehe Kasten). Und zum anderen passt das Projekt gut in eine ganze Reihe kommerziell erfolgreicher Wiederauflagen von Pop- und Rock-Klassikern. Doch wiedervereinen können sich die Beatles nicht mehr, weil nur noch Paul McCartney und Ringo Starr am Leben sind. So ist das Remasters-Projekt wohl vor allem eines: ein Vermächtnis.