Expedition in den eisigen Tod

Der dramatische Film „Nordwand“ erzählt,wie zwei Berchtesgadener Bergsteiger im Olympiajahr 1936 am Eiger ums Leben kamen
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Der dramatische Film „Nordwand“ erzählt,wie zwei Berchtesgadener Bergsteiger im Olympiajahr 1936 am Eiger ums Leben kamen

Ein Knoten, der sich in seinem Karabiner verhakte, ist sein Schicksal. Total erschöpft und halb erfroren hängt der Berchtesgadener Toni Kurz am 22. Juli 1936 nur wenige Meter über den Köpfen einer Rettungsmannschaft in der Eiger Nordwand. So nah, dass sie sein Flüstern „Ach, es geht nicht“ noch vernehmen, doch unerreichbar für die helfenden Hände. Der erst 23-Jährige erfriert.

Tonis Freund Andi Hinterstoisser und ihre österreichischen Konkurrenten Willy Angerer und Edi Rainer, mit denen sie sich in der Wand zu einer Seilschaft und Schicksalsgemeinschaft zusammengeschlossen haben, hat die „Mordwand“ schon zuvor geschluckt. Das als „letztes Problem der Westalpen“ gehandelte Abenteuer – die Durchquerung der Nordwand – wird noch zwei weitere Jahre ungelöst bleiben.

Regisseur Philipp Stölzl hat die tragische Geschichte dieser Expedition in den Tod in zwei Stunden Kinohochspannung verwandelt, trotz dramatischer Vorlage keineswegs eine Selbstverständlichkeit: „Bergsteigen ist erstaunlicherweise ein unfilmischer Vorgang“, sagt Stözl. „Die Bewegung ist sehr langsam, also nur in nahen Einstellungen zu beschreiben. Und dann wird dabei ja fast nicht geredet.“

"Die Dramatik ist schwer einzufangen"

Das Hauptproblem aber ist die Dimension der Tiefe. Es ist für das Auge gar nicht zu sehen, ob die Wand 100 oder – wie bei der Eiger Nordwand – fast 1700 Meter tief hinabfällt. „Bei Hochhausszenen in New York gibt es zur Orientierung immer den Schwenk in die Straßenschluchten, zu den winzigen Autos, die dort herumfahren“, sagt Stölzl. „Aber die Dramatik des Bergsteigens ist schwer einzufangen.“

1936 ist das Bergsteigen in Nazideutschland seltsam militarisiert. „Von keinem anderen Berg der Alpen wurde vor dem Zweiten Weltkrieg mehr berichtet als vom Eiger“, schreibt Rainer Rettner in „Eiger. Triumphe und Tragödien“. Die Presse stilisiert im Olympiajahr die Bezwingung der Nordwand zu einer sportlichen Pflicht für das neue deutsche Selbstbewusstsein. Toni Kurz und Andi Hinterstoisser passen eigentlich nicht in das großdeutsche Propagandageknatter. Aber die ausgelobte Goldmedaille wollen sie.

Auch sie haben gelesen, wie ihre Münchner Kollegen Karl Mehringer und Max Sedlmayr im August 1935 in der Nordwand den Tod fanden. Aber für sie zählt allein der Bergsport, sie sind Pioniere mit – aus heutiger Sicht – lächerlich einfacher Ausrüstung und keinerlei finanziellen Mitteln. Mit dem Fahrrad brechen sie von Berchtesgaden ins 700 Kilometer entfernte Berner Oberland auf. Am 18. Juli 1936 um zwei Uhr morgens beginnen sie ebenso ihren Aufstieg wie das Duo Willy Angerer und Edi Rainer. Was in den folgenden vier Tagen genau geschieht, liegt bis auf einige Details im Nebel, der zunehmend die Beobachtung durch die zahlreichen Schaulustigen an ihren Fernrohren erschwert.

Klar ist, dass die Seilschaften sich bereits am ersten Tag zusammen schließen, und dass sich Willy Angerer - wahrscheinlich durch Steinschlag – schwer verletzt und zur zusätzlichen Belastung für das Unternehmen wird. Vor dem ersten Eisfeld gelingt Andi Hinterstoisser erstmals die Seilquerung einer steilen Plattenzone, sie trägt bis heute seinen Namen.

Stölzl hat seinen teilweise im Kühlhaus abgedrehten Bergfilm mit größtmöglicher Authentizität in ein ergreifendes Todesballett an der Wand verwandelt. Lediglich Luise (Johanna Wokalek spielt Tonis fiktive Freundin) ist der künstlerischen Freiheit, vor allem der emotionalen Multiplex-Tauglichkeit, geschuldet.

Das Ende nach dem Ende hat uns Stölzl erspart. Tonis Körper, von einer Eisschicht überzogen, wurde mit Stange und Messer vom Seil getrennt und verschwand in der Tiefe. Einen Monat später wurde er geborgen, Andi Hinterstoisser gar erst ein Jahr nach seinem Absturz. Volker Isfort

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