Ewiges Isarflimmern
Willy Michl: Ein Untergiesinger Stadtindianer der das Spirituelle sucht. Zur Veröffentlichung der neuen CD »den sie Willy Michl nennen« wirft Christian Jooß einen Blick auf einen Münchner Mythos.
Herbst 1959. Ausgerüstet mit Neun-Millimeter- Bergseil und Eispickel setzten sich Vater und Sohn in den VW-Käfer. Von Garmisch nehmen sie die Kreuzeck-Seilbahn. Über den Schwarzkopf geht’s zum Höllentalanger. Einkehr. Am Morgen steigen sie übers Brett zum Ursprung des Höllenbachs, über Gletscher zur Irmerscharte und die letzte Eisplatte zur Zugspitze.
Für Willy ist es der Initiationsritus. Die Magie einer Traumreise schlägt das Kind in ihren Bann. Die Bilder prägen sich farbig-unauslöschlich ins Gedächtnis. Existenzielle Naturerfahrung ist kein harmloser Selbsterfahrungstrip. Daheim in München schicken die Berge einen Gruß: die Isar. An ihren Ufern verbringt Willy Michl seine Jugend.
Fab Four auf hyterisch umtoster Bühne
Immobilienmakler hatten damals den Charme bestimmter Stadtteile noch nicht erkannt. Die Mutter bläut ihm ein, als Wohnort Neuharlaching anzugeben und nicht das anrüchige Untergiesing. Es sind die 60er. Der Soldaten- Sender AFN liefert den amerikanischen Pop-Sound ins deutsche Haus.
Am 26. Juni 1966 ist Willy Michl im Circus Krone und erlebt die Fab Four auf einer hysterisch umtosten Bühne. Ab Mitte der 60er kristallisiert die Münchner Szene in Läden wie dem PN hit-house. Im Schwabinger Big Apple erlebt Michl den jungen Hendrix. Die Erfüllung findet er aber nicht im Swingin’ Schwabing, sondern im Tabarin am Thierschplatz. Hier trifft sich die afro-amerikanische Szene. Hier fängt sich Willy Michl den Soul ein, den Stimmklang, der guttural aus der Tiefe des Körpers steigt, das stöhnende Aufbäumen der Stimme gegen den Beat. Er schmeißt die Schule. DenHippie Willy treibt es nach Amsterdam und plötzlich findet er sich in der Bundeswehr wieder, als Gebirgsjäger.
Erstes Blues-Album in bayerischer Sprache
Beat-Bands überschwemmen Deutschland, Held bei den Sessions ist, wer die englischen Hits der Pop-Götter zur Gitarre bringt, die meisten scheitern schon am englischen „th“. Aber plötzlich ist das, was nur Kopie war, das Eigene: „I Could Cry vor lauta Bluus“ ist der Titel des ersten Blues-Albums in bayerischer Sprache. Peter Jacobi, Michls Schulfreund, schreit an gegen „Kini Faruk“ und singt den „Scheißhausblues“. Willy arrangiert und das Plaene-Label versucht, das anarchische Potential zur kommunistischen Agitation zu benutzen.
„Ois is Blues“ ist einer der bekanntesten Titel. Blues ist kein Genre, sondern eine Art, Dinge zu betrachten. „Blues Goes To Mountain“ und zwar bavarian Mountain, das kann man bei Willy Michl spüren: „Mit Rosenfinger zwischen die Wipfel, streckt si die Sunna in der Frua, steigt auf zua die höchstn Gipfl.“ In der zweistimmigen Linie der Gitarre hört man die Zither. Der bayerische Blues ist geboren. Der lokale Klang hat die Kraft, die globale Pop-Musik zu beeinflussen. Beim Vorgang der Bluestransformation ins Bayerische bleibt nicht aus, dass man sich die eigene Tradition besieht. Plötzlich ist es nur ein Schritt vom amerikanischen Folk-Sänger zum Volksmusiker. Das „G’fängnislied“ vom Kraudn Sepp – ein Outlaw – ist auf Michls erstem Album. Ob dich der Deputy Sheriff in Louisiana einbuchtet, oder der Dorfpolizist das Schloss hinter dir zuschnappen lässt, der Blechnapf ist derselbe.
Schaschlik rein in den Kragen
„Bahnhofsblues“: Man sucht Erfahrung nicht, wo alle es tun, sondern treibt durchs Bahnhofsviertel. Watten bis zum Morgen, Schaschlik rein in den Kragen: Man fühlt die fettigen Karten, Schwaden ziehen über klebrige Holztische. Rolf Bengert hat den Text geschrieben, die Erfahrung vieler Nächte kann man riechen.
Michl pendelt zwischen Gebirge und Szene. Pop-Star ist er in München, Hüttenbesitzer in den Alpen. Er reißt die Konzerte im Akkord runter. Auftritt, Absturz, Aufwachen, Aufrappeln, Auftritt, Absturz. 1978 setzt er sich in den Nachtzug nach Hamburg und löst den Plattenvertrag: ein Befreiungsschlag gegen die industrielle Fertigung von Musik. Sucht man Verbindendes an allen Songs, ist es die Kraft des genauen Blickes, der im Alltäglichen nicht das Banale, sondern das Heilige, Ekstatische, Katastrophale oder einfach Saukomische sieht.
Willy Michls Traumland liegt zwischen Gebirge und Stadt. Aber beide sind untrennbar. „Aus dem Karwendelgebirge springt a kloaner Bach.“ Und der umspült am Ende den „Willy in Sandalen“ und die Nackerten. Es ist der Moment, in dem die Natur in die Stadt fließt. „Isarflimmern“ ist kein Lebensgefühl, in „Isarflimmern“ wird München zum natur-mystischen Ort.
Christian Jooß
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