Europa wird balkanisiert
Das SpielArt-Festival gab dem Nachwuchs und der Münchner Szene eine Bühne
Forced Entertainment haben seit ihrem ersten SpielArt-Auftritt 1995 mit „Speak Bitterness“ hier ein begeistertes Publikum. Ihre außergewöhnliche Qualität bewies die englische Performance-Truppe um Regisseur Tim Etchells im 25. Jahr ihres Bestehens mit zwei Produktionen bei SpielArt: Mit „Void Story“ wagte sie ein gruseliges Live-Hörspiel aus der Comic-Welt, mit „Spectacular“ hingegen zeigte sie sich auf der Höhe ihrer konzentrierten Kunst. Etchells konfrontiert zwei Tode auf der Bühne: Robin Arthur im Skelett-Kostüm parliert ganz unspektakulär wie ein lockerer Entertainer darüber, warum die Show an diesem Abend nicht so aussieht wie gewohnt, reflektiert ironisch über den Schauspieler-Beruf und das Theater. Dann probt Claire Marshall hochdramatisch heulend, wimmernd, röchelnd und sich windend eine endlose Sterbeszene, für deren Agonie ihr der Tod auch mal Regieanweisungen gibt. Die Diskrepanz wirft existenzielle Fragen auf – und Forced Entertainment balanciert gekonnt zwischen Farce und Philosophie.
Die SpielArt-Macher Tilman Broszat und Gottfried Hattinger suchen immer nach neuen Talenten – und bieten ihnen auch ein Produktionsforum. Im Mentorenprogramm „Connections“ schlagen sechs internationale Theatermacher je einen Nachwuchs-Regisseur vor, der für das Festival eine Uraufführung inszeniert. Die Französin Ludivine Petit setzte in „Geen krimp, Gustav!“ die „Wunderhorn“-Lieder von Gustav Mahler mit zwei Sängern und dem Stimmkünstler Jaap Blonk in Fantasiesprache und rätselhafte Bildzitate um. Die Amerikanerin Toni Dove zeigte mit Roboter, Video und zwei Musikerinnen einen Entwurf ihrer computergenerierten Geister-Story „Lucid Possessions“. Der deutsche Choreograf Hermann Heisig ließ in „Themselves Already Hop!“ vier meist hüpfende Darsteller sich grotesk nach den Anforderungen von Multitasking verrenken.
Von vielem lieber mehr, von wenigem lieber weniger
Ziemlich daneben ging das Konzept des belgischen Mentors Dirk Pauwels für „Five People“: Fünf Künstler aus fünf Ländern mussten sich zu einer von Solo bis Quintett aufgebauten Performance zusammenraufen. Das blieb beliebig, bis die fünf am Schluss mit unerwartetem Witz stotternd eine gemeinsame Sprache fanden und im Chor auf Publikumsfragen antworteten.
Aber von zwei „Connections“-Entdeckungen möchte man mehr sehen: Kate McIntosh aus Neuseeland stellt in „Dark Matter“ Fragen nach dem Schwarzen Loch, nach Quantenphysik und Molekularbiologie, und lässt sie mit Hilfe zweier Assistenten in einer herrlich absurden Nonsens-Show einfach unbeantwortet. Und das kroatische Regie-Duo Rona Zulj und Mirhan Kurspahic spielte in „Geography Victims“ hinreißend mit falscher Dokumentation, mit Theatertheorien und allen Klischees über Kroatien. Drei Comedians probieren auf der Bühne hochkomisch, ihr Land würdig beim Festival zu vertreten, und lassen keinen Zweifel, dass die Aufnahme Kroatiens in die EU die Balkanisierung Europas bedeuten wird.
Für Aktualität braucht das Theater Zeit
Wie kurzfristig kann Theater auf aktuelle Diskurse reagieren? Das wollte Jörg Witte vom Pathos Transport Theater in seinem „Spielplatz“-Projekt von Künstlern aus der Münchner Szene wissen. Um Mitternacht erhielten die bunt zusammengewürfelten Gruppen zwei Zitate des Kernphysikers Hans-Peter Dürr und des afrikanischen Tänzers Faustin als Thema, um 18 Uhr abends sollte eine 15-Minuten-Performance fertig sein. Die Ergebnisse reichten von hilflosen Fragen über den weißen Hasen aus „Alice im Wunderland“ bis zur Radikalität von Revolutionärinnen und endeten in harmloser Liebespoesie. Offenbar braucht Theater doch etwas mehr Zeit für angemessene Reaktionen. Quasi außer Konkurrenz waren Tim Etchells und Robin Arthur dabei mit einer umwerfenden Verballhornungs-Arie der beiden Zitate.
Gabriella Lorenz
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