Es gibt sie noch, die guten Dinge

Salzburger Festspiele:Die Regisseurin Katie Mitchell verwandelt Luigi Nonos „Al gran sole carico d’amore“ in weiblichen Edelkitsch
von  Abendzeitung

Salzburger Festspiele:Die Regisseurin Katie Mitchell verwandelt Luigi Nonos „Al gran sole carico d’amore“ in weiblichen Edelkitsch

Leicht verstaubt zieht der Chor ein. Vier Frauen ziehen sich weiße Baumwollhandschuhe über, um auf roten Samt gebettete Bücher, Briefe und Uhren aus den Vitrinen zu holen. Später streift auf der Leinwand eine junge Frau durch die schon lange verlassene Sammlung.

Wir sind also in einem Museum, Abteilung wirkungslose linke Klassiker, gleich neben Brecht. Ganz abwegig ist das nicht: Luigi Nonos szenische Aktion „Al gran sole carico d’amore“, uraufgeführt 1975 in Mailand, ist ein monumentalens Requiem auf gescheiterte kommunistische Revolutionen. Die für Soprane in stratosphärischer Lage komponierten Teile der Musik rühren noch immer das Herz, das von linken wie rechten Ideologen verschlissene Pathos des in die lichte Zukunft weiterstrahlenden Opfers wirkt so unerträglich wie das machistische Frauenbild Nonos, das nur revolutionäre Madonnen oder Prostituierte kennt. Und die Beschwörung der kubanischen Revolution wirkt heute angesichts der dortigen Gerontokratie alter Kämpfer zynisch.

Platter Optimismus

Mit dieser Dialektik könnte, ja müsste sich eine Aufführung heute auseinandersetzen. Die Regisseurin Katie Mitchell entdeckte jedoch nur weibliche Befindlichkeit. Das banale Geschehen in den Kammern von fünf teils fiktiven, teils historischen Revolutionärinnen wurde riesenhaft auf eine Projektionsfläche geworfen. Dabei verliebte sich die Kameraführung vor allem in die guten Dinge von damals: proletarische Wasserkrüge, alte Pistolen, gläserne Tintenfässer, bolivianische Ventilatoren oder die Minox von Che-Guevaras Gefährtin Tamara Bunke. Am Ende stand zu Nonos zart verlöschender Musik das platteste aller optimistischen Bilder: Eine schwangere Frau verschwomm mit dem Sonnenaufgang.

Falls dieser weibliche Kitsch kritisch oder distanzierend gemeint war, kam es nicht heraus. Dafür gelang den Wiener Philharmonikern unter Ingo Metzmacher und der überragenden Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor der Umschlag vom Schwierigen ins Schöne. Perfekter und opulenter dürfte diese für ein riesiges Orchester mit vierfachen Bläsern und zehn Schlagzeugern komponierte Musik nie erklungen sein. Leider wurde auch hörbar, dass die instrumentalen Teile mit ihrer lärmenden Verdopplung des weißen Terrors nicht an die gesungenen Passagen heranreichen, in denen Vincenzo Bellinis romantischer Belcanto und die Madrigalkunst der Renaissance wiederhallen.

Martin Kušej müllte 1998 im Stuttgarter Opernhaus die Revolution mit Wohlstand zu, 2005 prüfte Peter Konwitschny in Hannover die Aktualität von „Al gran sole“ nach dem Ende aller Utopien. Die Salzburger Festspiele machten aus Nono, was sie am besten können: belanglosen, aber sehr teuren Luxus.

Robert Braunmüller

Wieder am 9. und 14. 8. Karten: Tel. 0043 662 80 45 500

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