Es gibt kein Entkommen
Saisonauftakt in den Kammerspielen: Andreas Kriegenburg inszeniert Kafkas Roman „Prozess“
Ein Mann wird verhaftet, aber er erfährt nicht, warum. Er darf sein Leben in Freiheit weiterführen und muss seine Gerichtsverhandlung erwarten. Die Ungewissheit zermürbt ihn, doch nimmt er sein Schicksal schließlich als unabänderlich an. In den Kammerspielen inszeniert Andreas Kriegenburg zur Saisoneröffnung „Der Prozess“ nach dem 1914/15 entstandenen Roman von Franz Kafka.
AZ: Herr Kriegenburg, warum inszenieren Sie einen Roman?
ANDREAS KRIEGENBURG: Es gibt keinen pragmatischen Grund, keinen aktuellen Anlass. Die Kammerspiele und ich haben ein Spiel: gegenseitige Herausforderung, indem man sich Aufgaben stellt, vor denen man zurückschreckt. Das war auch bei Tschechows „Drei Schwestern“ so. Die Kafka-Idee enstand im Gespräch. Kafkas Werk, besonders „Der Prozess“, wird grundsätzlich erlebt als Psychogramm unserer gebeutelten Welt. Und für mich gibt es eine gewisse Folgerichtigkeit, bei Kafka anzukommen, denn meine Arbeiten sind immer Versuche, eigene Welten, vielleicht Traumwelten, zu kreieren.
Setzt man das Spielzeit-Motto „Geschieht Dir Recht“ in Bezug zum „Prozess“, könnte man schlussfolgern, dass Josef K., der nicht weiß, wessen er angeklagt ist, in der Tat schuldig ist.
Natürlich ist er schuldig. Wir machen uns alle jeden Tag schuldig, wenn man es im Kontext des Menschseins betrachtet. K. formuliert seine Schuld auch im Gespräch mit dem Kaplan. Er erlebt den Prozess als ungerecht, sagt aber nicht: Ich habe nichts getan. Er sieht sich nicht als Opfer, er weiß nur nicht, auf welche Schuld sich das Gericht bezieht.
Fast alle Personen, die K. begegnen, haben mit dem anonymen Gericht zu tun – es scheint überall zu sein. Sind wir alle das Gericht?
Das bleibt undurchschaubar. Der Roman folgt einer Albtraumdramaturgie, deren Logik man nicht versteht. Er benutzt wie ein Horrorfilm den Angstfaktor: Man fühlt sich umzingelt und wird nach und nach jeder Gewissheit beraubt. Bei uns wird das dadurch verstärkt, dass alle acht Schauspieler K. spielen.
Warum diese Vervielfachung der Figur?
Es geht um das Grundmotiv der Unentrinnbarkeit, dass man der eigenen Angst nicht entkommt. Alle Darsteller sind ähnlich geschminkt wie K., und auch die Frauen tragen sein Gesicht. Er begegnet sich dauernd selbst und kann nie fliehen. Immer ist irgendwo ein K.
In der Literatur ist das Doppelgängermotiv meist eine Todesankündigung des Todes.
Das ist auch die Vorgabe, die Kafka macht. Es ist eine Reise in den Tod, und tief verborgen steckt darin ein suizidales Motiv: K. führt sich selbst zu seinem eigenen Ende hin.
Sie sind, wie so oft, auch hier Ihr eigener Bühnenbildner und haben K.s Welt auf einen kleinen Kreis komprimiert.
Es ist eine hochkant stehende Drehscheibe, die auch gesenkt werden kann. So können wir von oben – wie Gott – in K.s Zimmer schauen.
Wenn Sie Regisseur und Bühnenbildner sind, wer von beiden hat dann das Sagen?
Das ist unterschiedlich, sie arbeiten voneinander unabhängig. Manchmal fange ich als Regisseur an zu arbeiten und der Bühnenbildner gibt mir einen anderen Raum vor, dem ich mich anpassen muss. Der Bühnenbildner ist nicht der Erfüllungsgehilfe des Regisseurs. Ich provoziere mich oft mit Räumen, wo ich als Regisseur zunächst nicht weiß, ob man darin inszenieren kann. Aber auch, wenn ich mit einem anderen Bühnenbildner arbeite, erwarte ich einen eigenständigen ästhetischen Entwurf, an dem ich mich reiben kann.
Und wie reibt sich der Regisseur hier an seinem Bild?
Trotz aller Düsternis ist der Roman auch sehr komisch. Es gibt viele groteske Situationen, vor allem in K.s Verhältnis zu den Frauen. Kafka war ein leidenschaftlicher Kinogänger und bediente sich der Motive der Stummfilmzeit. Es gibt eine große Affinität zwischen Kafka und Buster Keaton, der ja der erste große Existenzialist des Films war. Keaton spielt eine Figur, die immer versucht, zu funktionieren, ohne die Mechanik zu durchschauen. Er ist so mit Überleben beschäftigt, dass er die Mimik vergisst. Kafka selbst war in Gesellschaft ein sehr komödiantischer Unterhalter. So versuchen wir, trotz der bitteren Konsequenz des Romans, auch das umzusetzen, was Kafka an Komik anbietet.
Gabriella Lorenz
Karten unter Tel. 089 23396600
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