Erster unter Gleichen

Sir Simon Rattles Einstand als Chefdirigent von Chor und Symphonieorchester des BR Haydns "Die Schöpfung"
Michael Bastian Weiß |
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Christian Gerhaher als Raphael (rechts) mit Simon Rattle sowie Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal der Residenz.
Astrid Ackermann 4 Christian Gerhaher als Raphael (rechts) mit Simon Rattle sowie Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks im Herkulessaal der Residenz.
Simon Rattle dirigiert "Die Schöpfung".
Astrid Ackermann 4 Simon Rattle dirigiert "Die Schöpfung".
Simon Rattle dirigiert "Die Schöpfung".
Astrid Ackermann 4 Simon Rattle dirigiert "Die Schöpfung".
Simon Rattle dirigiert "Die Schöpfung".
Astrid Ackermann 4 Simon Rattle dirigiert "Die Schöpfung".

Ob es eine echte Ära werden wird, die Sir Simon Rattle zusammen mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks begründen wird, kann man natürlich jetzt noch nicht voraussagen. Vorausahnen lässt sich aber nach seinem Einstandskonzert im Herkulessaal, dass wir uns an ein bestimmtes Bild gewöhnen dürfen. Es ist ein durchaus sympathisches: Der Dirigent dreht sich auf dem Podium zur Seite und lächelt die Solistin oder den Solisten an. Das tut natürlich jede musikalische Leitungsfigur mit Grundkenntnissen. Doch bei Rattle spürt man darüber hinaus, wenn er sich darauf freut, nun selbst gleich richtig gut unterhalten zu werden.

Im Falle des Oratoriums "Die Schöpfung" von Joseph Haydn ist es Christian Gerhaher, der diesen aufmunternden Blick empfängt. Zu diesem Zeitpunkt hat der Bariton bereits ein atemloses Publikum Zeuge eines schier grandios gestalteten Weltanfangs werden lassen - allein, wie er "Gott" artikuliert, in einer unbeschreiblichen Mischung aus Nichts und Noch-nicht, die gleichzeitig menschliche Furcht erfahrbar macht. Haydns unerhörte Spannungsregie entlädt sich in der berühmten Lichtwerdung, die Rattle mit dem strahlenden BR-Chor und einem aufgekratzten Symphonieorchester ziemlich martialisch inszeniert.

Danach aber steht dem Briten der Sinn offenbar nach Entspannung. Und Gerhaher reagiert auf diesen Wunsch und legt das Solo des Raphael "Rollend in schäumenden Wellen" als Opernarie an, mit herrlich gerolltem "Rrr": Der gebürtige Straubinger ist nicht nur der Philosoph unter den Sängern, sondern auch ihr Hochdramatiker.

Im weiteren Verlauf des Werkes zeichnet sich ab, dass Rattles Verhalten in dessen ersten Minuten in Umrissen die Rolle charakterisiert, die er wohl künftig in seinen ersten fünf Vertragsjahren als Chefdirigent einzunehmen gedenkt: Nach 16 Jahren bei den Berliner Philharmonikern und sechs beim London Symphony Orchestra muss er sich offenbar nicht mehr gleichsam als Orchesterdompteur beweisen.

Im Gegensatz zu seinem Münchner Vorgänger Mariss Jansons, dem Musiker einen gewissen Kontrollfanatismus nachsagten, sieht sich Rattle eher als Erster unter Gleichen, als guter Geist, der über allem schwebt und zuhört, sobald und solange es geht, und die Zügel nur in die Hand nimmt, wenn es denn unbedingt sein muss.

Ein Eliteensemble wie das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks kann, derart entfesselt, natürlich ungeheure Energien entwickeln, und selbstredend werden beide Seiten noch viele Gelegenheiten haben, sich noch besser miteinander vertraut zu machen. Doch zum Beginn der Amtszeit offenbart sich auch, dass weitestgehende Freiheit auch ihre Kehrseiten hat. Zum Beispiel, wenn Rattle auf eine klare Zeichengebung verzichtet und Violinen und Bläsersolisten, ohne etwas dafür zu können, auseinanderklappen anstatt gemeinsam einzusetzen. Arbeiten kann Rattle ebenfalls noch an der Koordination von Chor und Begleitung, die nicht immer synchron laufen. Darüber hinaus wird der von Peter Dijkstra zu schlanker Schlagkraft geformte Chor des Bayerischen Rundfunks nicht nur einmal vom knalligen Tutti in den Hintergrund verschoben.

Während sich das große Ganze vom Laissez-faire des Dirigenten phasenweise alleingelassen fühlt, sehen sich einzelne Stimmen wie Klarinette und Fagott oder Gruppen wie die wuchtigen Kontrabässe zu brillanten Soloauftritten animiert. Lucy Crowe, die ihren intensiven, geschlossen geführten Sopran in der Höhe in ein wunderbares Pianissimo zurücknehmen kann, nutzt als Gabriel und später Eva die Beinfreiheit für bewegliche, kecke Koloraturen, Benjamin Bruns als Uriel blendet mit gebührend erzenglischem tenoralen Weißgold.

Und Christian Gerhaher überschreitet die Grenzen der Kunst und macht erlebbar, wie aus dem Himmelswesen am Schluss Adam - ein Mensch wird. Das trifft den Geist, in dem Haydns Werk steht, voll und ganz. Zum Projekt der Aufklärung gehörte allerdings auch, zu wissen, wann Freiheit, und wann das Gesetz zu herrschen hat. Für den Dirigenten übersetzt heißt das: nicht nur vertrauensvoll machen zu lassen, sondern zum richtigen Zeitpunkt auch leitend und ordnend tätig zu werden.

Noch einmal am Sonntag, 24. September um 15.30 Uhr in der Basilika Ottobeuren. Video-Livestream auf br.klassik.de. Am 28., 29. und 30. September dirigiert Rattle Mahlers Symphonie Nr. 6 in der Isarphilharmonie

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