Erschöpft, leer, schön

Die Schauspielerin Margarita Broich hat über Jahre hinweg ihre Kollegen direkt nach der Aufführung oder in Drehpausen fotografiert und dabei wunderbar intime Momente eingefangen
Michael Stadler |
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Stundenlang ist der Schauspieler präsent auf der Bühne, jeder Augenblick ein vom Publikum wahrgenommener, bis sich der Vorhang schließt. Und plötzlich, während der Applaus verhallt, ist die Rolle nur noch eine leere Hülle, die abgelegt werden kann, der eigene Körper nicht mehr im Blick. Man ist unter sich, für sich. Alleine.

Von einem „Null-Moment” spricht Margarita Broich, sie hat ihn als Schauspielerin selbst schon oft nach Aufführungen erlebt und besonders seit 2001 entschlossen gesucht, um ihn in Fotografien einzufangen. Nach Inszenierungen, in denen sie oft selbst spielte, nahm sie Kollegen zur Seite und lichtete sie ab: „Die Schauspieler sind natürlich belebt, aber durchlässig, müde und sehen irgendwie gut aus. Sie haben keinen Darstellungsdrang mehr, sind abgespielt”, meint Broich bei der Vernissage ihrer Ausstellung „Wenn der Vorhang fällt” im Deutschen Theatermuseum. Ihre Porträts waren bereits 2009 im Museum der Moderne in Salzburg, dann im Gropius Bau in Berlin zu sehen.

Ein Gefühl von Star-Einsamkeit

Auch bei Filmdrehs hat Broich fotografiert, und so öffnet sich kurz nach dem Eingang des Theatermuseums links auf der Wand ein ländliches Panorama. Veronica Ferres sitzt während einer Drehpause von „Unter Bauern” (2008) auf einem Stuhl in einem Acker, sie, die Tochter eines Kartoffelhändlers als Darstellerin im bäuerlichen Kostüm, ungeschminkt, ein wenig verloren in der Ebene. Genau gegenüber ein ganz anderes Foto: der Maskenraum des Berliner Ensembles, die Darsteller beim Abschminken, gut gelaunt, erschöpft: Man hat die „Dreigroschenoper” gespielt. Auf der einen Wand ein Gefühl von Star-Einsamkeit, auf der anderen die Gemeinschaftswärme einer Truppe.

Broich hat mit ihren Porträts nebenbei auch einen Katalog der geheimen Un-Orte des Theaterbetriebs erstellt, besonders der Garderoben: „Ich mag das, wenn die Bilder so gebrochen sind”, meint die 51-Jährige. „Man sieht großartige Schauspieler und die stehen einfach neben einer blöden Kaffeemaschine.” Der Nachhall des Spiels ist noch zu spüren, in den Gesichtern, den Kostümen. Glasig die Augen von Sophie von Kessel nach ihrem Buhlschaft-Auftritt beim „Jedermann” (2008), blutbefleckt das Hemd von Klaus Maria Brandauer nach seinem 10-stündigen Wallenstein-Marathon 2007. Und wie vampirisch-diabolisch Broichs Ehemann Martin Wuttke noch in die Kamera blickt, nachdem er gerade in einem Indien-Gastspiel 2001 den Hitler-Verschnitt Arturo Ui gespielt hat.

Broich hat Fotodesign in Dortmund studiert, war dann Theaterfotografin in Bochum bei Peymann, bevor sie beschloss, selbst auf die Bretter zu treten. Ihr Wissen über beide Seiten ist in den traumhaften Fotos jederzeit sichtbar. Ein Bild hat sie während einer Aufführung geschossen, „die Kamera hatte ich in der Handtasche”, und man sieht Désirée Nick an einem Tisch sitzend als eine der „Damen der Gesellschaft”. Hinter Nick im Dunkeln das Publikum. Selbst hier entstand ein intimer Moment. Nick schaut herausfordernd in die Kamera, und in ihrem Blick leuchtet das heimliche Einverständnis, mit der Kollegin das Publikum in der Täuschung des Spiels zu beglücken.

Deutsches Theatermuseum, Galeriestraße 4a, bis 8. Januar 2012, Di bis So, 10 bis 16 Uhr, Eintritt 4, ermäßigt 3 Euro, Katalog für 20 Euro (Alexander-Verlag Berlin)

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