Erhellendes im blinden Fleck
Das Haus der Kunst zeigt Werke von Luc Tuymans unter dem Motto „Wenn der Frühling kommt“ - Eine Art Retrospektive mit knapp 90 Werken.
In seinem Reich geht die Sonne niemals auf. Der belgische Maler Luc Tuymans (geboren 1958) hält nur ihren Untergang fest: In „Sunset“ von 2002 hängt sie als bleicher Lampion am Himmel. Tuymans’ Gemälde ist ab Samstag im Haus der Kunst zu sehen, das unter dem Titel „Wenn der Frühling kommt“ eine Art Retrospektive mit knapp 90 Werken zeigt.
Der Flame, der heute in New York zu Höchstpreisen (bis zu 400000 Euro für ein mittleres Format) gehandelt wird, ist ein Künstler, der das Licht in sein Gegenteil verwandelt – in ein Mittel der Verunklärung. Je heller die Leinwand strahlt, desto weniger sieht man – und beginnt zu suchen, was man nicht sieht.
Der Maler, dessen Vater Flame und dessen Mutter Niederländerin ist, verbindet quasi katholische Schaulust mit protestantischer Bilder-Skepsis. Als Vorlage dienen ihm Bücher, Polaroids und Fotos aus dem Internet. Für die documenta 11 sollte er sich 2002 mit dem 11. September auseinandersetzen. Das Ergebnis – eine Verweigerung: Tuymans malte Äpfel und Birnen vor einem Krug. Doch anders als bei Cézanne schweben die Gegenstände dieses überdimensionierten Stilllebens losgelöst im weißen Nichts. Ein leises Echo der Erschütterung durch den Terror. Der documenta-Beitrag ist an der Stirnseite der Halle im Ostflügel des Hauses der Kunst platziert. Davon abgesehen hat Kuratorin Stephanie Rosenthal versucht, sich der „Macht der Architektur“ nicht zu beugen, und setzt der Halle eher kleinformatige Arbeiten entgegen.
Macht, Architektur, Inszenierung sind auch Themen bei Tuymans. Zu Beginn des Rundgangs schaut der Besucher in einen Raum: eine Jesuitenkirche, dessen Vorlage eine Buch-Doppelseite war. Der Knick trennt das Kircheninnere, das Theatrum sacrum wird in seiner Wirkung gebrochen. Das Gemälde gehört zur Serie „Les Revenants“ (2007).
Tuymans hat seine schnell und locker gemalten Bilder nicht chronologisch geordnet, sondern neue Bezüge zwischen alten und aktuellen Arbeiten hergestellt. Im besten Fall setzt sich beim Durchschreiten der Ausstellung Bild für Bild wie im Film eine fragmentierte Erzählung zusammen. Tuymans, der selbst Filme drehte, führt unaufgeregt Bildregie, zwischen Protagonisten und Schauplätzen stehen oft Leerstellen – Wände, Fenster ohne Aussicht.
Wie eine Mammut-Filmkulisse wirkt die Kreide-Wandmalerei „Wonderland“ (11 mal 15 Meter): Eine verwaschene Traumlandschaft in Blau- und Grüntönen, deren Vorlage einen Disney-Park in Kalifornien zeigt. Was man nicht sieht: Zur Eröffnung 1955 war der Park dem Massenansturm nicht gewachsen, es kam zu Unfällen. Die Vergnügungs-Utopie – zum Scheitern verurteilt.
„Um etwas zu zeigen, male ich viel weg“, hat Luc Tuymans einmal gesagt. Im Kopf des Betrachters findet dann eine assoziative Kettenreaktion statt: Wenn das vorhin Reinhard Heydrich war, dann muss der alte Mann mit Brille ein in Südamerika abgetauchter NS-Verbrecher sein. Aber seine mehrdeutigen Auslassungen führen auch oft in die Irre. Tuymans inszeniert als Meister des blinden Flecks Arrangements der beiläufigen Verstörung. Roberta De Righi
Eröffnung, Samstag, 19 Uhr; bis 12. Mai, Mo – So 10 bis 20, Do 10 – 22 Uhr, Tuymans singt zur Vernissage mit der Band „Monky Pussy“
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