Er wird noch gebraucht!

Michael Krüger, Autor, Lyriker und Leiter des Münchner Hanser Verlags, feiert heute seinen 70. Geburtstag – und bald Abschied
von  Volker Isfort

Aus seinem leicht angegriffenen Seelenzustand hat er keinen Hehl gemacht. Seine letzte Buchmesse als Hanser-Verleger absolvierte Michael Krüger im Oktober und schrieb in der „FAS“: „Wird mich im Frankfurter Hof wieder Herr Carl begrüßen, der belesene Empfangschef? Er ist so alt wie ich, wird aber noch gebraucht!“

Der Münchner Hanser Verlag ohne Michael Krüger, der dort vor 45 Jahren begann, ist für viele, Krüger eingeschlossen, undenkbar. 70 Jahre wird der Lyriker auf dem Chefsessel heute und seit langer Zeit weiß er, dass er seinen Platz zum 1. Januar 2014 räumen muss, so haben es die Besitzer bestimmt. Für Krüger ist das mehr Kränkung als Erleichterung. Aber natürlich wird er noch gebraucht: Im Sommer wurde er Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, vor wenigen Tagen wählte ihn die Mitgliederversammlung des Goethe-Instituts ins Präsidium, das höchste Entscheidungsgremium.

Im Jahr seines langen Abschieds erhielt Krüger den Kythera-Preis für seine Verdienste um den Kulturaustausch zwischen Deutschland und den romanischen Ländern und den London Book Fair Lifetime Achievement Award für sein Lebenswerk. Der bestens international vernetzte Krüger muss sich wie ein Dinosaurier fühlen, wenn die Feuilletons ihn nun als letzten auratischen, literarischen Verleger rühmen, als das wandelnde Anekdotenlexikon aus einer anderen Zeit, als das Buch mehr Kulturgut als Ware war.

Dabei hat auch Krüger 18 Jahre auf dem Hanser-Chefsessel in der Gewissheit verbracht, dass dieser unabhängige Familienverlag auch kontinuierlich Bestseller braucht, um überleben zu können. In den besten Fällen war dies anspruchsvolle Unterhaltung wie Umberto Ecos „Im Namen der Rose“. Hanser, die Heimat zahlreicher Nobelpreisträger, ist unter Krüger der intellektuelle Gegenentwurf zur Konzern-Bücherfabrik.

„Ich habe, so lange ich lebe, meine grauen Pullover angehabt, Bücher geliebt und hier mit einer Gruppe von klugen Menschen meine Arbeit gemacht“, sagt Krüger. Nun steht der Buchmarkt vor einem gewaltigen Umbruch ins digitale Geschäft. Der schelmische Apokalyptiker Krüger hat zuletzt auch den Melancholiker gegeben, der nicht akzeptieren möchte, dass schön gemachte, hochliterarische Bücher auf schwindendes Interesse stoßen, Drittklassiges den Markt beherrscht. Seine Analyse zu Erfolgen wie „Shades of Grey“: „Das Problem ist, dass die meisten Leser schlechte Bücher lieben.“ Schlechte Bücher aber waren mit Michael Krüger nicht zu machen. Er wird - neben seinen neuen Verpflichtungen - natürlich weiter schreiben. Auch wenn er es bisher ablehnt, seine Tausende von Tagebuchseiten, Gedanken und Notizen über seine Zusammenkünfte mit den Geistesgrößen aus einem halben Jahrhundert in Buchform zu gießen.

"Wenn ich hier rausgehe, muss ich so viel lernen, dass mir bei der Vorstellung schon ganz übel wird“, sagt er nun. „Zum Beispiel, allein, ohne meine Mitarbeiter, mit einem Computer umzugehen. Ob ich altes Schaf das noch schaffe, das weiß ich nicht.“  Vier Tage hat Michael Krüger seit Donnerstag die ersten Münchner Lyrik-Nächte im Literaturhaus mitgestaltet und am Sonntagvormittag Juli Zeh als neue Thomas-Mann-Preisträgerin in der Bayerischen Akademie begrüßt. Seinen Geburtstag feiert er dort, wo er mehr als sein halbes Leben verbracht hat: im Verlag, als selbstverständliches Zentrum des literarischen Betriebs.

Krüger hofft, „dass einige Leute irgendwann die Nase voll haben von dem Wahnsinn dieses Netzes und am Tag wenigstens eine Minute der Konzentration haben wollen und wieder Musik hören oder Gedichte lesen. Ob das kommt, das weiß ich nicht. Ich aber werde die letzten Jahre meines Erdenlebens mit mehr Musik, mehr Literatur und mehr Beobachtung verbringen als viele andere.“

Ganz so radikal altmodisch ist Krüger freilich nicht, er hat auf den Hanser Homepage seine Youtube-Reihe und den täglichen Adventskalender, ein Abschied in 24 Kapiteln. Am 1. Januar übernimmt der von DuMont abgeworbene Jo Lendle (45) den Chefsessel bei Hanser. „Ich werde Verleger bei Hanser“, sagt Lendle, „nicht der neue Michael Krüger. Das geht auch gar nicht.“

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.