Er lebt und lebt und lebt

Mit einem sehr gelungenen Film-Porträt aus der „Legenden“-Reihe würdigt die ARD das Lebender Operetten-Legende Jopie Heesters und spart dabei auch die braunen Flecken nicht aus
von  Abendzeitung

Mit einem sehr gelungenen Film-Porträt aus der „Legenden“-Reihe würdigt die ARD das Lebender Operetten-Legende Jopie Heesters und spart dabei auch die braunen Flecken nicht aus

Es kam einem erst mal verdächtig vor, dass ARD-Chefredakteur Thomas Baumann bei der Vorstellung des Films mehrmals betonte, dass „der Erzählansatz in dieser Reihe ein eindeutig journalistischer ist“, dass man hier „keine Oden“ produziere und „die Figur in all ihren Facetten“ zeige. Ist das, was man Journalismus nennt, schon so ungewöhnlich geworden, dass Chefredakteure es für bemerkenswert halten, wenn ihre Leute die Grundregeln des Jobs einhalten?

Doch in diesem Fall ist es tatsächlich sinnvoll, den Standpunkt abzuklären, von dem aus man sich dem Objekt der Berichterstattung genähert hat: Denn erstens heißt die seit elf Jahren sehr erfolgreich in der ARD laufende Reihe „Legenden“, so dass am Ende ja immer irgendwie ein Übermensch dabei herauskommen muss. Und zweitens geht es um Johannes „Jopie“ Heesters, über dessen inzwischen 106-jähriges Endlos-Leben gerade in den letzten Jahren kritisch diskutiert wurde, weil es in der Nazizeit braune Flecken abbekommen haben könnte.

Ist es so ungewöhnlich, wenn Journalisten ihren Job machen?

Der Film, der in München im Beisein von Heesters, seiner Frau Simone Rethel und seinen Töchtern Nicole und Wiesje vorgestellt wurde, geht mit den Fragen nach diesen Flecken erstaunlich offen um, ohne den gebrechlichen, aber geistig hellwachen Greis in eine Generalverdachts-Ecke zu stellen. Heesters war unbestritten 1941 zu Besuch im KZ Dachau – dabei sind viele Details ungeklärt, und so schildert der Film den Fall: neutral und sachlich. Auch erlaubt er sich manchen bissigen Kommentar, der klarmacht, dass man Heesters auch anders sehen kann als den ewig jugendlichen holländischen Charmeur, der den Deutschen die leichte Muse auf höchstem Niveau brachte: „Nach dem Krieg fasst er schnell wieder Fuß, bedient weiter die heile Welt.“ Es spricht für Heesters und seine Familie, dass sie sich sehr erfreut zeigten, mit dem Film (Autor: Philipp Engel) eine ausdifferenzierte, kritische Würdigung zu bekommen und kein Jubel-Porträt nach der Machart des Privatfernsehens.

Sehr erhellend ist auch, wie der Film mit Heesters letztem Hitler-Fall umgeht, als er vor einem Jahr den Diktator einen „guten Kerl“ nannte. Man sieht, wie ein junger holländischer Journalisten feixend den damals 105-Jährigen aufs Glatteis führt, bis er endlich vieles nur noch halb versteht und den Satz sagt, den der junge Skandalmacher offenbar hören wollte – man muss sich schämen, aber nicht für Heesters.

Weil der Film so souverän mit all diesen schwierigen Dingen in Heesters rekordlangem Leben umgeht, schafft er auch Raum für die schönen, netten und vor allem anrührenden Seiten seines Lebens: Für seine zweifellos ganz große Sangeskunst, die auf alten Aufnahmen noch einmal zu hören ist, für seine unglaubliche Vitalität bis ins hohe Alter, die man auf bislang nicht öffentlich gezeigten Familienbildern bewundern kann.

Natürlich fragt der Film auch nach dem Thema „Tod und Sterben“, was insbesondere bei Heesters nicht originell, aber unvermeidlich ist. Simone Rethel gibt eine kluge Antwort: „Wenn wir darüber nachgedacht hätten, hätten wir uns die mehr als 20 Jahre, die wir jetzt zusammen sind, kaputt gemacht.“ Und Jopies Tochter sagt: „Ich glaube, das Schönste wäre für ihn, auf der Bühne zu sterben. Das wäre... toll. Und dann Applaus!“

Michael Grill

„Johannes ,Jopie’ Heesters“, heute um 21.45 Uhr im Ersten

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.