„Entdeckt den Sigi Sommer wieder!“

Interview mit Schauspieler Michael Lerchenberg: Warum der 1996 gestorbene Journalist und AZ-Autor "Blasius" heute aktueller denn je ist
von  Abendzeitung

Interview mit Schauspieler Michael Lerchenberg: Warum der 1996 gestorbene Journalisten und AZ-Autor "Blasius" heute aktueller denn je ist

AZ: Herr Lerchenberg, Sie bekommen den Sigi-Sommer-Taler der Narrhalla. Womit haben Sie das verdient?

MICHAEL LERCHENBERG: Ich hoffe, das in der Laudatio zu erfahren. Jedenfalls ist der Taler eine sehr münchnerische Auszeichnung.

Und benannt nach dem Journalisten, Kolumnisten der Abendzeitung und Autor Sigi Sommer. An was denken Sie, wenn Sie sein Denkmal in der Altstadt sehen?

Das ist, wie wenn ich einen alten Bekannten treffe. Ich habe Sigi Sommer ja leider nie persönlich kennengelernt, aber durch seine Kolumnen und die Figur „Blasius, der Spaziergänger“ war und ist er mir auch heute noch eine vertraute Erscheinung.

Viele, die mit seinen Texten in München aufgewachsen sind, haben so die Seele ihrer Stadt kennengelernt.

Ja, absolut! Er war ein bemerkenswert scharfsinniger Beobachter. Und wenn er in die Hinterhöfe geblickt hat, dann war da auch sehr viel Sozialkritik und Gesellschaftsanalyse dabei – so prägnant, wie man das selten bei einem Autor gefunden hat. Nach ihm gab es keinen, bei dem man das so hätte lesen können.

Er war aber kein politischer Autor, auch wenn er übers Politische schrieb. Wenn Sie als Stoiber-Double oder Bruder Barnabas auftreten, gehen Sie härter mit der Materie um.

Sicher, da gibt es eine völlig andere Aufgabenstellung und Zielsetzung. Ich setze mich mit der Politik unmittelbar auseinander.

Außerdem redet der Barnabas recht lange und der Stoiber noch länger. Sigi Sommer war ein Meister der kurzen Form. Anscheinend gibt es immer mehr Widersprüche zwischen Sommer und Sommer-Preisträger…

Wenn Sie’s so sehen wollen! Ich finde aber auch Gemeinsamkeiten. Sommer war ein Meister der Aphorismen und des treffenden Wortes. Und erst seine zusammengesetzten Adjektive…

Wenn er ein Wort brauchte, das es noch nicht gab, dann hat er sich’s zurechtgebaut.

Das war wirklich sein Markenzeichen. Und manchmal erwische ich mich dabei, dass ich versuche, es auch so hinzubekommen, sozusagen in seinem Geiste. Aber Sommer bleibt einzigartig. Mich wundert nur, dass er von den Germanisten und Linguisten immer noch weitgehend ignoriert wird.

Das liegt vielleicht daran, dass man ihm gerne Heimattümelei unterstellt.

Diese Unterstellungen sind offenbar das Sigi-Sommer-Schicksal. Die Wahrheit ist näher bei dem, was etwa Bertolt Brecht über ihn gesagt hat – er war voller Bewunderung. Und „Marile Kosemund“ – was für ein tolles Stück. Da ist es besonders schade, wenn man ihn als Münchner Unikum abstempelt.

Wobei er ja nach seiner Rückkehr aus dem Krieg erklärte, nie wieder so weit von München wegzugehen, als dass er nicht am selben Tag heimlaufen könnte. Sie kommen viel herum, können Sie das nachvollziehen?

Ich kann das verstehen. Mein wahres Verhältnis zu München habe ich erst entdeckt, als ich als junger Schauspieler aus der Stadt weggegangen bin. Aus der Distanz sieht man vieles plötzlich mit ganz anderen Augen. Erst recht, wenn es, wie bei Sigi Sommer, mit Krieg und Leid verbunden war.

Kann man sagen, dass Sommer der progressivste Heimatdichter aller Zeiten war?

Sehen Sie: Heimatdichter! Das ist schon wieder so ein gefährliches Wort…

Deshalb biete ich’s Ihnen ja an!

Mit dem Begriff verbindet man sofort Edelweiß, Lederhosen und Almenrausch. Und genau das war Sommer nicht! Er war ein ganz gnadenloser Analytiker, der in seiner Heimatsprache geschrieben hat. Seine Analyse beschränkte sich überwiegend auf München, aber letztendlich unterscheidet sich der Hinterhof von München nicht von dem in Berlin oder Hamburg. Trotzdem wird in der Kulturszene so einem schnell ein dumpfer Konservatismus unterstellt. Da ist man schnell verdächtig, wenn man nicht ständig ruhelos die Welt bereist – erst recht als Bayer. Das kenne ich auch: Außerhalb Bayerns kommt der Bayer schnell in eine Schublade.

Themen wie Heimat und Dialekt haben in den letzten Jahren eine völlig neue Bedeutung bekommen, wie man etwa am Erfolg der Rosenmüller-Filme sehen kann. Da wäre es doch Zeit für eine Neubewertung von Sigi Sommer, oder?

Das könnte ich mir gut vorstellen. Ich merke schon, wie das Interesse an ihm wieder wächst. Neulich hatte ich an unserer Sommerakademie für bairisches Volksschauspiel als Gastdozentin eine junge Regisseurin vom Staatsschauspiel. Und die wollte tatsächlich Szenen aus „Marile Kosemund“ durchnehmen! Das ist toll, das ist spannend!

Und es wäre vor 15 Jahren noch unvorstellbar gewesen.

Sicher, das ganze Genre wurde damals regelrecht abqualifiziert. Heute spürt man, dass das Publikum, aber auch die Kulturkritik anders und neu darüber nachdenken. Die Menschen haben ein Bedürfnis nach Heimat und einem positiv besetzten Heimatbegriff. Oskar Maria Graf hat mal gesagt: „Provinziell muss die Welt werden, dann wird sie menschlich.“ Und so müssen wir auch Sigi Sommer wiederentdecken.

Den Sommer-Taler verleiht die Faschingsgesellschaft Narrhalla. Sie haben neulich in der AZ gesagt, die Wiesn habe den Fasching ersetzt – das werden die echten Narren nicht gerne hören.

Schon, aber es ist ja was dran. Wenn ich denke, wie wir damals als Kinder Fasching gefeiert haben, das war noch eine ganz andere Tradition. Heute ist Fasching für viele eine Gelegenheit zum Ferienmachen und zum Skifahren. Der alte Fasching hat sich klammheimlich a bissl davongeschlichen. Aber umso mehr sieht man Verkleidungen auf der Wiesn, die abenteuerlichsten Landhausmoden.

Bedauern Sie das?

So kann man das nicht sagen, das ist einfach die Zeit. Nur zu klagen, früher war’s schöner – das bringt gar nichts.

Michael Grill

AZ-Info: Er war einer der berühmtesten Münchner Journalisten: Siegfried „Sigi“ Sommer, der 1949 zur AZ kam und fast 40 Jahre lang als Blasius durch seine Heimatstadt streifte. Sommer starb 1996, seit 1998 erinnert eine Bronzestatue in der Rosenstraße an den Kolumnisten. Auch der Sigi-Sommer-Taler hält das Gedenken an ihn wach: Der Kunstpreis wird seit 2001 von der Münchner Faschingsgesellschaft Narrhalla und dem Verlag Edition Schulz an Künstler mit Lebensmittelpunkt in München vergeben. Am Sonntag geht er an Michael Lerchenberg. Frühere Preisträger waren Erni Singerl, Christian Springer, Lisa Fitz, Fredl Fesl, Konstantin Wecker, Christian Ude und Frank-Markus Barwasser.

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