Energie für die ganze Welt
Zwölf Monate lang schieben die öffentlich-rechtlichen Sender klassische Musik ins finstere Eck der Spartenkanäle ab. Am letzten Tag des Jahres fällt ihnen noch schnell der Kulturauftrag ein. Deshalb steigen sich heuer wieder zwei Silvesterkonzerte gegenseitig auf die Füße.
Die ARD lässt von 18.30 Uhr an die Berliner Philharmoniker unter ihrem Chef Sir Simon Rattle aufspielen. Im Auftrag der Maizelmännchen gibt Christian Thielemann eine knappes Stündchen früher der Dresdner Staatskapelle den ersten Einsatz, ist aber erst um 19 Uhr fertig. „Ich muss ganz ehrlich sagen, das hat mich auch geärgert”, grollt Thielemann. Die Sender hätten zugesichert, dieses Jahr werde das nicht passieren. „Ich finde es unmöglich, aber schuld sind wir nicht.”
Für den sächsischen Regierungschef Stanislaw Tillich ist die Dopplung Ausdruck für den „Reparaturbedarf” bei den Öffentlich-Rechtlichen. Wenigstens wird nicht auch noch die gleiche Musik gespielt. In Berlin dreht sich zu Silvester mit Brahms, Dvorák, Strawinsky und Richard Strauss alles um den Tanz, die Dresdener schwelgen in Operettenliedern von Franz Lehár. Dass Anna Netrebko wegen einer Fußoperation und ihr Verlobter Erwin Schrott gleich dazu absagten, soll die Stimmung nicht trüben.
Aber letztlich sind diese beiden Spektakel nur Parvenüs neben dem Klassiker: Am ersten Tag des frischen Jahres überträgt das ZDF ab 11.15 Uhr das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Zum zweiten Mal seit 2006 steht dabei Mariss Jansons am Pult. Der 68-jährige Chef unseres BR-Symphonieorchesters beginnt mit dem „Vaterländischen Marsch” von Johann und Josef Strauss, der zu Neujahr noch nie erklungen ist. Mit der „Tritsch-Tratsch Polka” von Johann Strauss und der Polka „Unter Donner und Blitz” werden aber auch traditionell gespielte Stücke zu hören sein.
Der „Kopenhagener Eisenbahn-Dampf Galopp” von Hans Christian Lumbye spielt auf den Beginn der EU-Ratspräsidentschaft Dänemarks an. Mit Josef Strauss' „Jockey-Polka” feuern die Wiener Musiker London als Austragungsort der Olympischen Spiele 2012 an. Mariss Jansons sagte im Vorfeld des Traditionskonzerts, das in 78 Länder der Welt übertragen wird: „Das ist doch eine unglaublich positive Energie, die in die ganze Welt geht.” Hoffentlich schnappt er davon auch etwas auf, denn in München musste der nicht ganz gesunde Dirigent zuletzt öfter absagen.