Empfindsame Weisen
Französischer Barock für Einsteiger: Anne Sofie von Otters CD „Ombre de mon amant“ mit Les Arts Florissants und William Christie
Die Jubiläumsportion Händel im letzten Jahr war nicht zu knapp. Alle naslang wird Vivaldi neu entdeckt. Da kann ein Blick auf die französische Konkurrenz erfrischende Abwechslung sein. Anne Sofie von Otter, die Vielseitige unter den Mezzosopranistinnen mit Hang zu geistvollen Programmen, hat sich mit dem frankophilen Barockspezialisten William Christie zusammengetan. Und was die beiden nun auf ihrer neuen CD „Ombre de mon amant“ servieren, ist ein nachdrückliches Plädoyer für Marc-Antoine Charpentier und Jean-Philippe Rameau.
Beide zählen hierzulande nicht gerade zu den Dauerbrennern. Charpentier sucht man auf deutschen Opernspielplänen vergeblich, das „Te Deum“ kennt man gerade noch und natürlich die Eurovisionshymne. Leider, denn die Ausschnitte aus seinem Seelendrama „Médée“ bieten alles, wonach die Bühne giert. Und die Schwedin taucht ein in einen Abgrund voller Intrigen, Verzweiflung und Grenzüberschreitungen. In fahle, matte Töne kleidet sie ihr „schreckliches Weh“ („Quel prix de mon amour“), um sich schließlich grausig zu rächen („Venez mêler à mes poisons“), köstlich kommentiert vom gellend-spöttischen Chor der Unterwelt.
Genauso hätte man gerne mehr von Rameaus „Hippolyte et Aricie“, wo die Otter ihren Reichtum an Farben fast noch besser ausbreiten, mit ihrer umwerfenden Gestaltungsgabe punkten kann. Das lässt vergessen, dass die Stimme im Einsatz für das Repertoire des 20. Jahrhunderts doch gelitten hat. Klugerweise meidet sie rasantere Koloraturen. Für den flotten Part ist eh Christies Edel-Ensemble Les Arts Florissants zuständig – gewohnt spritzig, punktgenau und dabei höchst einfühlsam. Besonders wenn es um die empfindsamen Weisen von Michel Lambert, dem Kapellmeister Ludwigs XIV., geht. Otter singt diese Airs de Cour mit so zarter Melancholie, dass sie den fiesesten Versailler Hof-Intriganten erweichen müssten.
Christa Sigg
Anne Sofie von Otter: „Ombre de mon amant“ (Archiv Produktion)