Elke und der Adler im Lehnstuhl
Die Graphische Sammlung präsentiert 300 Blätter von Georg Baselitz
Unangenehm, grob, brutal, pathetisch“. Mit diesen Begriffen erklärt Georg Baselitz seine Faszination für das Werk des altdeutschen Meisters Hans Baldung Grien. Doch es klingt, als spräche er über seine eigenen Bild-Erfindungen; in denen er nicht erst seit dem 1963 als Skandal gehandelten onanierenden Jungen aus „Die große Nacht im Eimer“ gegen alles „Glatte und Schöne“ in der Kunst rebellierte. Mit der ihm eigenen, anfangs stark testosterongetränkten Drastik brachte der 1938 als Hans-Georg Kern im sächsischen Deutschbaselitz geborene Künstler es ziemlich weit. Der so simple wie durchdachte Kniff, den Bildgegenstand auf den Kopf zu stellen, den er ab 1969 serienmäßig anwandte, machte Baselitz schon zu Lebzeiten unsterblich. Und fast unbezahlbar: In Auktionen erzielen Gemälde wie „Ein Roter“ von 1966 schon mal 1,8 Millionen Euro.
Protest-Muskelmänner
Anfang des Jahres feierte der große deutsche Maler, der seit knapp zwei Jahren am Ammersee lebt, seinen 70. Geburtstag. Jetzt sind in der Pinakothek der Moderne 300 seiner Druckgraphiken zu sehen, die Prinz Franz von Bayern jüngst der Graphischen Sammlung geschenkt hat. Fast lückenlos hat das kunstbesessene Wittelsbacher Oberhaupt zwischen 1966 und ’81 das druckgraphische Oeuvre gesammelt. Da sind auf frühen Radierungen und Holzschnitten all die Partisanen, Rebellen, Holzfäller, Jäger und anderen Protest-Muskelmänner zu entdecken, die man auch von den Gemälden kennt. Aber man findet auch nackte Frauen und andere Stillleben, die als Sujets fürs Experimentelle dienten. Baselitz ist laut Kurator Michael Semff als Graphiker Autodidakt; in der Ausstellung kann man quasi dabei zuschauen, wie sich Baselitz Blatt um Blatt die Techniken zueigen machte.
Bild löst sich vom Inhalt
Zu einer Zeit, als Siebdruck und Lithographie populär waren, griff Baselitz, der konservative Revoluzzer, auf „anachronistische“ Techniken zurück – und auch seine nachkriegsdeutsch-düstere Motivik hatte mit der bunten Pop-Welt nichts zu tun. „Damals wollte die keiner haben“, erklärt Baselitz. Bei ihm ist die Natur keine Idylle, sondern wird zur zerhackten Weltlandschaft, in der Astwerk wie Gitter wächst. Und man erkennt nicht auf Anhieb, ob es sich etwa um einen Adler oder Baselitz’ Frau „Elke im Lehnstuhl“ handelt. Doch das genau bezweckt das Auf-den-Kopf-Stellen: Dass das Bild sich vom Inhalt löst. Anhand der Graphik kann man gut nachvollziehen, dass Baselitz die Bilder nicht nach dem Malen einfach gedreht hat, sondern sich langsam beibrachte, die Welt auf den Kopf zu stellen. Auf manchen Blättern scheinen die Bäume noch zu schweben, später sind sie schon fest verwurzelt in der Luft.
Roberta De Righi
Pinakothek der Moderne, Di – So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr