Kritik

Elektrisierender Start

Joseph Bastians Einstand bei den Münchner Symphonikern mit "Frauenpower" im Prinzregententheater
von  Michael Bastian Weiß
Die Münchner Symphoniker im Gartensaal des Prinzregententheaters.
Die Münchner Symphoniker im Gartensaal des Prinzregententheaters. © Peter von Felbert

Die Streicher bieten einen weichen Klang an, der Dirigent nimmt ihn auf, veredelt ihn noch ins Seidige. Nicht benutzt er das Schlagzeug für den knalligen Effekt, sondern integriert es sorgsam in die Integrale. Und die Bläser dürfen Joseph Bastian ohnehin auf ihrer Seite wissen, spielte er zur Zeit seines triumphalen Debüts am Pult des BR-Symphonieorchesters noch als deren Bassposaunist.

Sein Antrittskonzert bei den Münchner Symphonikern, deren Chefdirigent er ab dieser Saison ist, verspricht nicht nur viel, sondern erfüllt bereits auf ganzer Linie: Die Musikerinnen und Musiker fühlen sich in seinen harmonisch schwebenden Bewegungen hörbar aufgehoben, die Schönheit von Joseph Bastians Schlag setzt sich unmittelbar in orchestrales Melos um: Die Münchner Symphoniker klingen einfach fabelhaft.

Dazu kommt die unaufgeregte Geistesgegenwart des gut vierzigjährigen Dirigenten. Im Klavierkonzert a-moll von Clara Wieck-Schumann, der Frau des Komponisten, nimmt man im voll besetzten Prinzregententheater keine der Nahtstellen zwischen Solo und Kollektiv wahr. Ohne großes Aufhebens bereitet er der Pianistin Ragna Schirmer eine offene Bühne, schafft ihr Raum für die Entfaltung, elegant kommt er ihr auch bei kräftigen Tutti-Einsätzen entgegen. Ragna Schirmer, die bei ihrer kurzen Einführung freimütig über die unbequemen, haarigen Passagen ihres Parts spricht, kann auf jede vordergründige Brillanz verzichten und etabliert einen vornehm gedeckten, nur momentweise etwas unscheinbaren Ton, der den modernen Steinway auf wundersame Weise in die Ausdruckswelt des mittleren 19. Jahrhunderts versetzt.

Mit "Frauenpower" ist Joseph Bastians Einstandskonzert überschrieben. Die Aufstockung des jahrhundertelang kaum existenten Anteils von Komponistinnen im männerdominierten Repertoire liegt im Trend, ist aber glaubhaft ein echtes Anliegen des neuen Chefdirigenten. Verdient das an sich schon Anerkennung, kann man doch auch sachlich geltend machen, dass in der Kunst allgemein und in der Musik im Besonderen das Geschlecht der schaffenden Person eigentlich so wenig eine Rolle spielen sollte wie deren Alter, Aussehen oder andere Sekundärmerkmale. Es kommt allein auf die Qualität an, und da muss man dem Werk "La source d'Yggdrasil" von Camille Pépin, Jahrgang 1990, bescheinigen, dass es in seiner schal minimalistischen Floskelhaftigkeit und seinen unüberhörbaren Anlehnungen an die Soundtracks von Fantasy-Filmen aus Hollywood über bloßes Kunstgewerbe nicht hinausreicht. Seriöses Komponieren könnte man das auch dann nicht nennen, wenn es statt von einer Camille von einem Charles vorgelegt würde.

Gänzlich anders präsentiert sich die Symphonie fis-moll der in 1885 in Ungarn geborenen, in Kroatien aufgewachsenen und 1923 in München jung verstorbenen Dora Pejacević. Das Werk, das der berühmte Dirigent Arthur Nikisch zur Aufführung angenommen hatte und das hundert Jahre später von seinem Leipziger Nachfolger Andris Nelsons wiederentdeckt wurde, ist kompositorisch höchst ambitioniert.

Mit Herzblut nehmen sich die Münchner Symphoniker des Kolosses an und schwelgen in spätromantisch überbordender Expressivität, während Joseph Bastian mit flexiblem, intuitivem Rubato über manche vorhersehbare Entwicklung hinweghilft. Das ist mehr als eine Wiedergutmachung an einer tragischen Persönlichkeit, nämlich ein elektrisierender Start in eine vielversprechende Saison der Münchner Symphoniker - und den Beginn einer möglichen Ära Joseph Bastian.

Bastian dirigiert am 30. November Werke von Emilie Mayer und Beethoven. Infos unter muenchner-symphoniker.de

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