Einst Skandal, heute Klassiker
Das Staatsballett hat Mats Eks „Giselle“ von 1982 im Prinze wieder aufgenommen
Ein Bauernmädchen und keine Tanzprinzessin: Der schwedische Choreograf stutzt der berühmtesten Hauptrolle der Ballettgeschichte rigoros die Federn. Bei ihm ist Giselle ein zurückgeblieben wirkender Dorf-Teenager mit Baskenmütze, der sich ungeniert seiner Gefühle bedient. Der Stadtmensch Albrecht gefällt ihr, also bedrängt sie ihn ziemlich direkt, greift zu, ohne Rücksicht auf die Spielregeln. Die Verärgerung ihres Geliebten Hilarion ist nachvollziehbar. Zumal das Opfer der Begierde anfangs keinesfalls übermäßig interessiert wirkt.
Mit „Giselle“, 1982 in Stockholm uraufgeführt und 1996 vom Staatsballett erstmals gezeigt, landete Mats Ek einst einen Volltreffer. Die Abkehr von der Starre einer nur auf tänzerische Virtuosität bedachten Tradition machte die Sache spektakulär. Die Münchner Erstaufführung erhielt ihre zusätzliche Pointe dadurch, dass sich das Staatsorchester damals weigerte, mit dem Dirigenten Richard Bonynge zusammen zu arbeiten. Bei der Wiederaufnahme im Prinzregententheater wird eine Aufnahme des Staatsorchesters unter Michael Schmidtsdorff verwendet.
Immer noch aufregend
Natürlich lassen sich auch heute noch viele Details bewundernd entdecken. Etwa die Charakterisierungskünste der Choreografie im ersten Akt, wenn die Dorfbewohner zunächst ohne Argwohn den Besuchern aus der Stadt begegnen, dann aber im Tanz immer aggressiver werden. Die stupiden Bewegungsrituale der zu psychiatrischen Pflegefällen umfunktionierten Willis im zweiten Teil signalisieren Ängste und Träume auf bedrückende Weise – auch wenn die Wiederholungen ein wenig ermüden. Dass Albrecht am Ende nackt in die Welt der Realität zurückkehrt, provoziert niemanden mehr. Hilarion reicht ihm die schützende Decke. Für beide beginnt ein neues Leben – ohne Giselle.
Man kann Ballettchef Ivan Liska verstehen, dass er diese Kult-Aufführung wieder ausgebuddelt hat. Zumal ihm hinreißende Tänzer zur Verfügung stehen: Gözde Ösgür (Giselle), Matej Urban (Albrecht), Lukas Slavicky (Hilarion) und das gesamte Ensemble sind mit grandioser Intensität bei der Sache. Mats Ek war auch da. Er wurde mit Ovationen gefeiert.
Volker Boser
Wieder am 24., 25., 26. Juni und im September, Karten unter Tel. 2185 1920
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