Einen ganzen Abend Sommer
Noch eine halbe Stunde vor Beginn probte er mit aufgekrempelten Hosen den „Nimrod” aus den „Enigma-Variationen” von Edward Elgar. Am Ende des Abends wurde die getragene Musik als Zugabe gespielt. Leider versäumte es der Dirigent Daniel Harding, das außerhalb Britanniens weniger geläufige Stück anzusagen. Im elften Jahr von „Klassik am Odeonsplatz” sollte eigentlich bekannt sein, dass es die Leute es nicht nur bei Freiluftkonzerten freut, persönlich angeredet zu werden.
Dabei ist der ewig junge Dirigent mit seinem anfeuernden Spaß an der Musik eine gute Besetzung für diese Großveranstaltung. Zum Beweis ließ Harding die schlagzeugfreudige Ouvertüre zu Wagners „Liebesverbot” prickeln. Felix Mendelssohn Bartholdys Violinkonzert kühlte die Stimmung etwas ab. Janine Jansen, eine ernsthafte Arbeiterin im Weinberg der Musik, mied jeden Effekt. Die Verstärkung raubte ihrem Ton den Glanz, und mit etwas mehr Schmäh dürfte in der lauen Abendluft durchaus gegeigt werden. Die Begeisterung auf dem mit 7500 Besuchern nicht restlos ausverkauften Odeonsplatz hielt sich deshalb in maßvollen Grenzen.
Nach der Pause kam der massenwirksame Virtuose: Udo Wachtveitl stürzte sich mit Vergnügen und Lokalkolorit auf den eingedampften „Sommernachtstraum” des österreichischen Schriftstellers Franzobel. Der Spaß des Fernsehkommissars an der Wortlust frei nach William Shakespeare steckte an, so dass einem die Zeit bis elf Uhr kaum lang wurde. Dazu gab’s Mendelssohns Musik als Hausmannskost. Harding und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks beschränkten sich auf gediegene Seriosität. Statt der üblichen Basstuba wurde sogar eine historisch korrekte Ophikleide aufgeboten. Beim gebremsten Hochzeitsmarsch sprang der Funke immerhin auf die Zaungäste über, die jenseits der Absperrung diesem unverwüstlichen Stück applaudierten.
In den vorderen Reihen mischte sich der Live-Klang ungleich mit der Verstärkung. Weiter hinten soll man Wachtveitl nicht gut verstanden haben. Der Nachklapp zwischen dem Ton und den Mundbewegungen auf der Großleinwand war der Schallgeschwindigkeit geschuldet. Dem Vernehmen nach mussten die Besitzer teurer Karten hier zugunsten der billigen Plätze ein demokratisches Opfer bringen.
„Klassik am Odeonsplatz” ist mittlerweile eine Traditionsveranstaltung. Die Preise sind im Vergleich zu anderen Events maßvoll. Dennoch: Das Gratis-Konzert des Bayerischen Staatsorchesters vor dem Nationaltheater ist traditionell Chefsache des Generalmusikdirektors. Vor der Feldherrnhalle schwänzen Kent Naganos Kollegen dagegen mehrheitlich zugunsten von Gastdirigenten, was ein bisschen lieb- und respektlos wirkt. Und weil sich der Kulturreferent Hans-Georg Küppers mit dem Hörfunkdirektor Johannes Grotzky zur Begrüßung ein kleines Geplänkel in Sachen Konzertsaal lieferten, noch ein Apropos: Wenn die BR-Symphoniker möchten, dass ihnen der Mann von der Straße einen Neubau spendiert, sollte man im Interesse einer besseren Verwurzelung in München seine Kunst auch einmal pro Jahr verschenken. Für die Philharmoniker als „Orchester der Stadt” müsste dies sowieso Ehrensache sein.