Kritik

Eine unfassbare Geschichte: "Stella. Ein Leben" im Kino

Mit dem Film mit Paula Beer ist die Geschichte einer Berliner Jüdin, die Hunderte Jüdinnen und Juden an die Gestapo verriet, im Kino angekommen
von  Adrian Prechtel
Paula Beer und Jannis Niewöhner als Stella Goldschlag mit ihrem zweiten Mann Rolf Isaaksohn, ebenfalls ein Kollaborateur
Paula Beer und Jannis Niewöhner als Stella Goldschlag mit ihrem zweiten Mann Rolf Isaaksohn, ebenfalls ein Kollaborateur © Majestic/Christian Schulz

Es gibt Geschichten, die sind in ihrer moralischen Komplexität und Monstrosität letztlich nicht darstellbar. Die Geschichte der Berlinerin Stella Goldschlag ist so eine.

Geboren 1922 gerät sie als Jüdin in die mörderische Verfolgungsmaschinerie des Nationalsozialismus. Sie wird Zwangsarbeiterin in einem Rüstungszulieferer, soll 1943 deportiert werden, taucht unter, wird verraten, verhaftet und gefoltert. Sie erklärt sich bereit, um das Leben ihrer Eltern und ihr eigenes zu retten, mit der Gestapo zusammenzuarbeiten. Als sogenannte "Greiferin" verrät sie bis 1945 Hunderte von untergetauchten und versteckten Jüdinnen und Juden. Aber ihr Mann und dessen Eltern werden dennoch deportiert, auch ihre Eltern enden trotz alledem in Auschwitz. Sie verliert ihren geheimen Schlafplatz, aber sie kommt durch.


Auf dem Kinoplakat von "Stella. Ein Leben" steht über allem: "Was würdest Du tun?". Aber die Frage ist pervers, denn niemand kann wagen zu sagen, wozu man im Angesicht grausamsten Terrors und unter Todesangst fähig gewesen wäre. Und der Film von Kilian Riedhof ist auch nicht als Diskussionsgrundlage gedreht, sondern ein Unterhaltungsfilm - dabei natürlich ein hartes Drama. Aber es gibt trotz ständiger Verfolgung und Krieg auch den Alltag, der im Falle der lebenslustigen jungen, blond und blauäugigen, schönen Frau durchaus genussvolle Züge hat. "Ich habe keine Lust mehr auf das Gejammer", sagt sie, tanzt, singt, swingt: "Let's misbehave".

Das alles verdichtet sich im Film in einer der eindrücklichsten Szenen. Nächtlicher Bombenalarm. Stella kann mit ihrem neuen Mann (gespielt von Jannis Niewöhner), ebenfalls einem jüdischen Kollaborateur, nicht in einen Luftschutzkeller. Mit Freunden dringt sie in eine gerade verlassene Bonzenwohnung ein und feiert mit Champagner und anderen Delikatessen an einer bereits gedeckten, aber verlassen Tafel eine Orgie, während außen, hinter den Tiffany-Scheiben der Berliner Nachthimmel von Suchscheinwerfern durchzogen und vom Bombenblitzen erhellt wird. Die Wohnung erzittert umdröhnt, es ist ein Tanz auf dem Vulkan, auf Leben und Tod…


Die immer nahe, nervöse Kamera fängt über zwei Stunden - selbst noch bei Cafébesuchen oder auf Feiern - die ständige Bedrohung spürbar ein. Aber "Stella. Ein Leben" ist einfach zu bunt, zu modern, auch schnell, das Kriegsberlin zu unversehrt und der Stil des Dramas der eines aufwändigen Schuljugendfilms.

Paula Beer spielt Stella Goldschlag. Und der Film wahrt bei allen Liebhabern und sexuellen Angeboten der Verhörenden und Verfolger sexuelle Würde. Aber auch die lebensenergetische Schauspielkunst von Paula Beer kann - und das ist gut so - dem Zuschauer keine sichtbaren Antworten auf die Frage geben, was im Inneren dieser Frau eigentlich passiert? Denn in diesem Wahnsinn aus Pragmatismus, Hedonismus, Todesangst, Kaltblütigkeit, Umdeutung und Verdrängung gibt es auch keine moralische Orientierung.

Was macht also so eine Lebensgeschichte mit einem Menschen? 1992 hat Stella Goldschlag ihrem ehemaligen Klassenkameraden mehrere Interviews gegeben: "Schreib nichts Schlechtes über mich", soll sie ihm am Ende gesagt haben. Und wieder ist unklar, wie sie zu so einem Satz kam. Dabei ist Stella Goldschlags Leben gut dokumentiert - nicht nur durch Erinnerungen anderer, sondern unter anderem auch durch Vernehmungsprotokolle. Von einem sowjetischen Militärtribunal wurde sie zu 10 Jahren Lagerhaft verurteilt. Später hat die Bundesrepublik sie ebenfalls wegen Beihilfe zum Mord verurteilt, aber die Strafe wegen der abgebüßten Lagerhaft nicht noch einmal vollzogen. Es folgten noch drei weitere Ehen und 1994 - mit 72 Jahren - der Selbstmord.

Der Film moral
Auch "Stella. Ein Leben" geht bis zu diesem Endpunkt, ohne je zu moralisieren. Aber der Film versteigt sich im Abspann zu der Plattitüde: "Stella Goldberg war Opfer und Täterin." Ja. Und?

Vor vier Jahren hat der biografische Roman "Stella" von Takis Würger die Bestsellerlisten erobert, aber gleichzeitig eine Entrüstungswelle ausgelöst. Seine Beschreibung der Stella Goldberg in den Kriegsjahren sei obszön, weil der Holocaust als kulissenhaftes Gruselelement einer irritierend geilen Geschichte missbraucht würde.

Etwas Ähnliches könnte man auch über den Film sagen. Aber der Vorwurf greift in beiden Fällen nicht, weil beide - Autor und Regisseur - der Geschichte von Stella Goldschlag ernsthaft und auch künstlerisch gerecht werden wollen.

Doch vielleicht ist es einfach so, dass an diesem Extrem die Kunst einfach scheitern muss, weil jede fiktive Ausschmückung unpassend ist.

Kino: Arri, Gloria, Monopol
R: Kilian Riedhof
(D, 115 Min.)

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