Eine Straße ins Nichts

Sperriger Auftakt der 66. Filmfestspiele in Venedig: Die Filme ermüden, und selbst Flavio Briatore bekommt nach ein Uhr keinen Champagner mehr beim Eröffnungsdinner
von  Abendzeitung

Sperriger Auftakt der 66. Filmfestspiele in Venedig: Die Filme ermüden, und selbst Flavio Briatore bekommt nach ein Uhr keinen Champagner mehr beim Eröffnungsdinner

Venedig wird immer mehr zum Museum. Mit einer Verfügung hat der links-demokratische Bürgermeister Massimo Cacciari das Essen und Trinken außerhalb von Restaurants verboten. Und wirklich: Auf dem Markusplatz fressen nur noch die Tauben.

Am Lido hingegen wird man lässiger. Die Sperrzeit wurde während des Festivals auf vier Uhr morgens verlegt, ab 2 Uhr darf allerdings kein Alkohol mehr ausgeschenkt werden. Aber das Excelsior hat bereits um kurz nach eins seine Gäste aus dem Plexiglas-Zelt am Strand mit festlich gedeckten Rundtischen und historistischen Großkandelabern hinauskomplimentiert, obwohl das Eröffnungsdinner erst nach der Galavorstellung von Tornatores zweieinhalbstündigem „Baarìa“ um elf begonnen hatte.

Nach der Apocalypse der lange, lange Spätherbst

So verzog sich Flavio Briatore etwas mürrisch mit Elisabetta Gregoraci. Während sich Italien noch selbst feierte, konnte die Presse bereits die nächsten beiden Wettbewerbsfilme sehen, zwei amerikanische: „The Road“ mit Viggo Mortensen und Charlize Theron. Am Ende dieser post-apokalyptischen Geschichte nach einem Roman von Cormac McCarthy (der auch „No Country for Old Men“ schrieb) waren alle ratlos: Zwei Stunden lang sah man eine spätherbstliche, nasskalte menschenleere Landschaft, in der noch verfallende Restzivilisation eingestreut ist.

Viggo Mortenson schlägt sich mit seinem 12-jährigen Sohn durch eine entleerte Welt nach dem Zusammenbruch der Zivilisation durch eine – nie erklärte – Naturkatastrophe. Das zerstörte Familienleben wird nur in seinen Rückblend-Erinnerungen erzählt. Der Film von John Hillcoat hat keinen Anfang und kein Ende und führt ins Nichts, ohne wirklich eine Diskussion über die eigentlich interessante Frage anzuregen: Was bleibt, welche Moral gilt im nackten Überlebenskampf, wenn alles zusammenbricht?

Warten auf das erste Meisterwerk

Todd Solondz findet darauf auch keine Antwort, in „Life During Wartime“ – ein irreführender Titel, denn es geht um ein Familiengeflecht im sonnigen Florida, das episodenhaft erzählt immer mehr Neurotik hinter „Es-geht-mir-gut“-Fasaden zeigt. Nach so viel Ratlosigkeit hofft man am Lido auf Werner Herzogs „Bad Lieutenant“ mit Nicolas Cage und Eva Mendes. „Ein Meisterwerk“, hat Festivalchef Marco Müller dem Film schon bescheinigt, und Müller kennt sich mit Filmen ja besser aus als Ministerpräsident Berlusconi, der schon den italienischen Eröffnungsfilm „Baarìa“ so bezeichnet hatte. Aber noch hat auf dem Festival keiner ein Meisterwerk gesehen.

Adrian Prechtel

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