Eine Spinne im Netz

Im Residenz Theater inszenierte Altmeister Thomas Langhoff „Am Ziel“ mit Cornelia Froboess als Mutter, die mit dem ganzen Team für ihre bravouröse Leistung Jubelstürme erntete. Sie hält differenziert und überwältigend präsent zwei Stunden lang einen perfekten Spannungsbogen, der so reißfest ist wie ein Spinnenfaden.
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Im Residenz Theater inszenierte Altmeister Thomas Langhoff „Am Ziel“ mit Cornelia Froboess als Mutter, die mit dem ganzen Team für ihre bravouröse Leistung Jubelstürme erntete. Sie hält differenziert und überwältigend präsent zwei Stunden lang einen perfekten Spannungsbogen, der so reißfest ist wie ein Spinnenfaden.

Wir sind eine Fundgrube für einen Dramatiker“ – an scharfsinniger Selbsterkenntnis mangelt es dieser Mutter nicht. Großbürgerlich elegant sitzt sie in ihrem Sessel, mit Pelzstola und Schnürstiefeletten, Gehstock und Kognak-Karaffe in Reichweite. Sie wirkt, als könne sie das Schicksal genauso herumkommandieren wie ihre Tochter oder den Gast, den sie ins Sommerhaus am Meer eingeladen hat. Doch der Schein trügt, wie meist bei Stücken von Thomas Bernhard: Am Ziel ihres Lebens ist diese Frau nicht. Im Residenz Theater inszenierte Altmeister Thomas Langhoff „Am Ziel“ mit Cornelia Froboess als Mutter, die mit dem ganzen Team für ihre bravouröse Leistung Jubelstürme erntete.

Eine Kannibalin hinter der Fassade

Sie wirkt souverän, zeitweise sogar liebenswürdig, diese Witwe eines Gusswerksbesitzers, die sich mit ihrer Tochter auf die jährliche Sommerfrische vorbereitet. Doch hinter der Fassade verbirgt sich eine Kannibalin, die ihre innere Leere mit immer neuem Frischfleisch zu füllen versucht. Mit der altjüngferlichen Tochter lebt sie in symbiotischer Hassliebe, knechtet sie wie ein Dienstmädchen und verweigert ihr ein eigenes Leben. Sie betäubt sich mit Kognak und als Selbstunterhalterin mit einem fast unaufhörlichen Redefluss, der bruchstückhaft ihr Unglück enthüllt. Aus kleinen Verhältnissen, hat sie einen Mann geheiratet, an dem sie alles hasste – nur sein Gusswerk und sein Geld hat sie geliebt.

Ihren Mann hat sie auf Distanz gehalten, die Tochter versklavt, nun sucht sie ein neues Opfer. Wie eine Spinne im Netz umgarnt sie den jungen Erfolgsdramatiker, den sie auf die Reise eingeladen hat: Sie webt ihre Fäden, wickelt ihn ein und saugt ihm das Mark aus. Am Ende ist Dirk Ossig, der als verdruckster Schriftsteller salopp und gleichgültig erscheinen will, tatsächlich völlig sprach- und wehrlos.

Betonung des Komödiantischen

Die Tochter hat (sich) schon lange aufgegeben: Stephanie Leue zeigt schnelle Wechsel zwischen verinnerlichtem Grimm und erotischer Hoffnung auf den jungen Mann. Unaufhörlich und teils slapstickhaft packt sie die Koffer, kriecht in die riesigen Kleiderschränke auf Stefan Hageneiers abstrakter weißer Bühne und taucht aus einer anderen Schrankwand wieder auf.

Regisseur Langhoff betont das Komödiantische, und Cornelia Froboess spielt die gewaltige Suada der Mutter mit allen Facetten zwischen pointierter Bosheit, scharfzüngiger Kritik, unverhohlener Despotie, kokettem Selbstmitleid und unstillbarer Lebenssucht. Raffiniert und witzig erzwingt sie Nähe oder Distanz, kostet ihre Macht und Verführungskraft aus, enthüllt hinter der filigranen Erscheinung einen eisernen Kern. Sie hält differenziert und überwältigend präsent zwei Stunden lang einen perfekten Spannungsbogen, der so reißfest ist wie ein Spinnenfaden.

Gabriella Lorenz

Residenz Theater, 4., 5., 7. Juli (20 Uhr), 20. Juli (19 Uhr), Tel.21851940

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