Eine Schnapsidee für Wagner
Eine Spur zu schüchtern wirkt er für einen, der die Zügel in der Hand hat. Die müden Augen unter den grauen Haaren sind weit aufgerissen. Sebastian Baumgarten liegt in den letzten Zügen – am Montag ist Premiere. Und mit seiner Neuinszenierung des „Tannhäuser” werden die Bayreuther Festspiele eröffnet. Natürlich gieren nicht nur die Medien nach einem Aufreger. Oder wenigstens einem Skandälchen. Solides verkauft sich nicht so gut, das wissen auch die Ober-Walküren vom Hügel. Aber irgendwie wirken sie angespannt, Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier. Was so kurz vor dem Auftakt kaum mit dem „Ring”-Trauma zum Wagner-Geburtstag 2013 zu tun haben kann, bei dem neuesten Gerüchten zufolge nun Frank Castorf Regie führen soll.
Dafür verbreitet Carl Hegemann schon fast hektisch gute Laune. Der Dramaturg und ganz nebenbei Vater der von Plagiatsvorwürfen gebeutelten „Axolotl Roadkill”-Jungautorin Helene Hegemann redet in westfälischem Maschinengewehrstempo vom Konzept, das Baumgarten verfolgt. Den Gegensätzen, zwischen denen dieser „Tannhäuser” pendelt: dem Apollinischen und dem Dionysischen. Natürlich wollte man nicht in die Sexualmoral des 19. Jahrhunderts verfallen und mit Klischees wie Swingerclub oder Strauss-Kahn-Übergriffen die ach so exzessive Venus-Welt darstellen. Überhaupt dürfe das Ganze nicht zu glatt werden, betont er, um dann in seiner unnachahmlichen Begeisterung von Messias Christoph Schlingensief zu schwärmen, dessen Bayreuther „Parsifal” Hegemann 2004 geordnet hat.
Auf den bezieht sich auch Sebastian Baumgarten, vielleicht weil er schon zu oft über die zwei geschlossenen Systeme philosophieren musste. Und auch die Fragen nach der „Biogasanlage” nicht wirklich plausibel beantworten kann. Oder mag. Dieses Konstrukt soll das „geschlossene Lebenssystem der Wartburg” widerspiegeln, berlinert er mit vielen Nebensätzen, eine künstliche Lebenswelt, in der man „essen, trinken, arbeiten, schlafen, Religion ausüben kann”. Und die Maschinen auf der Bühne seien dazu da, diesen Kreislauf in Gang zu halten.
Entworfen hat sie der niederländische Künstler Joep van Lieshout – unabhängig von Bayreuth. Auch der „Alkoholator” von 2004 ist eine seiner nicht erst jetzt diskutierten Installationen. Und keine Schnapsidee: Den brauche so ein totalitäres, ziemlich rigides System, um die Leute bei Laune zu halten, erklärt Baumgarten.
Der 42-jährige Enkel des langjährigen Intendanten der Staatsoper Unter den Linden, Hans Pischner, will über das bloße Künstlerdrama hinaus, das die meisten mit dem „Tannhäuser” verbinden. Und dann ist er doch froh, als ihn eine Assistentin wieder zu den Proben ruft. Es ist müßig, über geheime Konzepte überzeugend nichts zu sagen. Deshalb schwärmen auch die Sänger lieber von der sagenhaften Akustik und der Ehre und der Bürde und der Chance – und von Thomas Hengelbrock.
Dass er aus der Alten Musikszene kommt, wird schon lange nicht mehr belächelt, von seinen Quellenstudien machen auch konventionelle Orchester gerne Gebrauch. „Entscheidend ist die Genauigkeit, mit der er sich mit der Musik Wagners auseinander setzt”, sagt der neue Wolfram, Michael Nagy. Hengelbrock verlange auch kein vibratoloses oder wenigstens vibratoreduziertes Singen, wie es die Originalklangfraktion schätzt. Aber man müsse eben sehr genau artikulieren, betont Günther Goissböck. Selbst im Ensemble, wo man einfach gewöhnt sei, drauf loszubrüllen, verlange Hengelbrock, dass man intonationssauber und vor allem leiser singt. „Aber das Ergebnis”, jubelt der Bass, der als Landgraf debütiert, „ist grandios!”
- Themen:
- Bayreuther Festspiele