Eine oscar-reife Love Story

Sie war ein DDR-Star und ging trotzdem in den Westen: Was die Schauspielerin Ilona Grandke alles versuchte, um sieben Jahre vor der Wende legal auszureisen. Nur durch Zufall entdeckte sie das doppelte Spiel der Stasi.
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Ilona Grandke 1976 im DDR-Film "Zweieinhalb Karat"
privat 2 Ilona Grandke 1976 im DDR-Film "Zweieinhalb Karat"
Ilona Grandke heute
privat 2 Ilona Grandke heute

BERLIN - Sie war ein DDR-Star und ging trotzdem in den Westen: Was die Schauspielerin Ilona Grandke alles versuchte, um sieben Jahre vor der Wende legal auszureisen. Nur durch Zufall entdeckte sie das doppelte Spiel der Stasi.

Ich bin ein Mensch, der in die Zukunft schaut“, sagt Ilona Grandke. „Aber jetzt, wo sich alles um den Mauerfall vor 20 Jahren dreht, ist das für mich eine Reise in die Vergangenheit. Und die ist mit vielen Tränen verbunden.“

Als die Schauspielerin Ilona Grandke die DDR verließ, war sie dort ein Star. Sie hatte in Bautzen, Dessau und an der Volksbühne in Ostberlin Theater gespielt, drehte Filme und Fernseh-Serien. Ihr Mann Jürgen Pörschmann war Regisseur am Berliner Ensemble: Ein erfolgreiches Künstler-Ehepaar mit kleiner Tochter. Bis 1977 der neue BE-Intendant Manfred Wekwerth Pörschmann loswerden wollte. Weil es in der DDR keine Kündigungen gab, wurde der Regisseur gemobbt und kaltgestellt. Mit 36 starb Pörschmann am 29. Dezember 1979 an stressbedingtem Herzinfarkt. Seine Frau ist überzeugt, dass das Mobbing die Ursache war. Ihre Tochter Fränzi war damals 6 Jahre alt.

„Ich bekam Zorn und Hass. Ich konnte die Kollegen nicht mehr sehen“, erinnert sich Ilona Grandke. „Das ganze Jahr 1980 habe ich überlegt, was ich mit meinem Leben mache. Beruflich hatte ich alles: Rollen, mehr Geld, als ich ausgeben konnte, und einen Lada vor der Tür. Dann habe ich beschlossen: Ich gehe. Aber ohne mein Kind zu gefährden.“

DDR-Promis konnten Urlaub in Jugoslawien machen. Von dort hätte sie leicht nach Italien fahren können. Aber ihr Reiseantrag wurde abgelehnt. So suchte sie einen legalen Weg, die DDR zu verlassen und die Staatsbürgerschaft abzulegen – durch Heirat mit einem westlichen Ausländer. Eine Kollegin fand einen Schweizer Lehrer, der dazu bereit war. Werner Gubser besuchte sie erstmals im Mai 1981 in Ost-Berlin, schon eine halbe Stunde später ließen sie sich als Liebespaar fotografieren. Nach mehreren Besuchen und Austausch von Liebesbriefen und Telefonaten – es musste ja alles glaubwürdig aussehen – beantragte sie die Ausreise in die Schweiz, um zu heiraten.

Dass das sofort Arbeitsverbot bedeutete, wusste sie. Die Genehmigung ließ auf sich warten. Im Herbst stand plötzlich ein Stasi-Mann vor ihrer Tür – und kam bis Dezember täglich zu Verhören in ihre Wohnung. „Manchmal blieb er bis Mitternacht“, erzählt Grandke. Sie war sich keiner Verfehlung bewusst, weil sie sich vorsichtshalber nie politisch geäußert hatte. Dann ließ der Stasi-Mann mit dem Decknamen „General Körner“ die Katze aus dem Sack: Sie könne sofort mit ihrer Tochter ausreisen, wenn sie DDR-Staatsbürgerin bliebe und in Zürich für die Stasi arbeitete.

Als sie sich weigerte, begann der Psycho-Terror. Man drohte ihr, ihre Tochter in ein Heim zu stecken. Sie wurde ständig von einem Wartburg verfolgt, fand ihr Auto durchsucht und ihren Briefkasten geöffnet. Sie hatte Angst um ihre Tochter. „Ich bekam Panik-Attacken und war kurz davor, den Strick zu nehmen. Einmal hatte ich nachts einen Schwächeanfall und ließ eine Notärztin kommen. Die fragte mich plötzlich, ob ich diesen Mann wirklich lieben würde. Also war klar, dass sie von der Stasi war.“ Da gab Grandke auf: „Am nächsten Tag habe ich den Stasi-Mann angebrüllt: Ich ziehe den Antrag zurück.“

Am 22. Dezember bekam sie eine Vorladung zum Einwohnermeldeamt. Wütend erklärte sie der Beamtin dort, dass sie in der DDR bleibe. Woraufhin die Frau sich verplapperte: „Aber Frau Grandke, wir wissen doch schon lange, dass Sie die Ausreise gekriegt haben. Seit Ende September.“ Zu der Zeit hatten die Stasi-Besuche begonnen. Man hatte ein doppeltes Spiel gespielt.

Zwei Koffer, zwei Gitarren und Fränzis Plüschtiere durfte sie mitnehmen. Am 24. April 1982 flog sie mit ihrer neunjährigen Tochter nach Zürich und fand dann in München Unterschlupf beim damaligen Intendanten der Schauburg, Jürgen Flügge, und dessen Freundin Dagmar Schmidt.

Sie hatte viele Freunde im Westen, die sie oft in Ost-Berlin besucht hatten. Einmal legten die Freunde zusammen und schenkten ihr 100 D-Mark für den Friseur. Beim nächsten Telefonat fragte ihre Mutter in der DDR sie nach diesem Geld. Woher wusste sie das? Grandke begriff, dass unter den Freunden ein Stasi-Spitzel sein musste. Noch vier Jahre wurde sie hier beschattet, das erfuhr sie später aus ihrer Stasi-Akte, doch sie weiß bis heute nicht, von wem.

Der Neuanfang war schwer für die 39-Jährige. Sie hatte keine Ahnung, wie man mit Künstler-Agenturen umgeht. „Ich habe zwar überall offene Arme gefunden, musste aber lernen, dass die Freundlichkeit nur momentan war.“ Eva-Maria Hagen, die sie schon in der DDR zum Singen bewogen hatte, brachte sie zum Synchron, wo sie sich hocharbeitete zur „Feststimme“ von Jeanne Moreau und Marianne Faithfull. Es kamen Theaterengagements in Essen und an der Münchner Schauburg, Filme und Fernsehrollen. Derzeit spielt Ilona Grandke am Münchner Volkstheater.

Lange hat sie über ihr Schicksal geschwiegen. Das änderte sich erst, als Hilde Bechert über sie einen „Lebenslinien“-Film drehte: „Ich habe so viele Reaktionen bekommen wie nie als Schauspielerin. Was in der DDR mit Menschen geschah, darüber muss man immer wieder reden. Im Namen aller, die gestorben sind oder denen die Kinder weggenommen wurden.“

Als die Mauer fiel, heulte sie wie ein Schlosshund: „Keiner hat das für möglich gehalten. Und der DDR-Satz ,Wir sind die Sieger der Geschichte’ hat mich rehabilitiert.“ Als die Ost-Kollegen rüberkamen, half sie, wo sie konnte.

Obwohl sie manchmal nicht wusste, wovon sie die Miete bezahlen sollte, hat sie ihren Schritt nie bereut. „Ich hab’s auch für mein Kind getan. Es sollte einen anderen Humus haben.“ Und es macht sie stolz, dass ihre Tochter, die in der Pubertät nichts mehr von der DDR hören wollte, heute, mit 36, intensiv nachfragt. Fränzis Sohn heißt übrigens Oskar – weil die Tochter fand, ihre Mutter habe die fiktive Love Story oscar-reif gespielt.

Gabriella Lorenz

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