Eine neue Immobilie ist wie ein neues Leben

Georg M. Oswald schickt in seinem Roman "In unseren Kreisen" eine Hipsterfamilie ins Großbürgertum
Volker Isfort
Volker Isfort
|
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Der Münchner Autor Georg M. Oswald
Gerhard Leber/Imago Der Münchner Autor Georg M. Oswald

Der Erwerb von Eigentum ist in München für Normalsterbliche so unmöglich geworden, dass das Thema konsequenterweise gleich in die Literatur abgewandert ist.

In Natalie Buchholz' Roman "Unser Glück" ist es ein unmoralisches Angebot, das einem jungen Pärchen eine Wohnung bescheren könnte, in Georg M. Oswalds Roman "In unseren Kreisen" ist es die Erbschaft einer Tante.

Wobei Tante Rose eine sehr spezielle Frau war. Ihr Mann Rudolf, ein Schüler des Psychoanalytikers Wilhelm Reich und exzentrischer Therapeut, hatte den Orgonakkumulator konstruiert, einen riesigen Apparat, zur Aufladung der von Reich behaupteten universellen Energie des Körpers. Noch zwei Jahrzehnte nach dem Tod ihres Mannes hatte Rose den Apparat genutzt, um in Kontakt zu ihrem Mann zu treten, was sie als "den Tanz zweier ineinandergreifenden Spiralen" bezeichnete.

Sie hatte sogar den Kontakt zu ihrer Nichte Tatjana abgebrochen, als diese schwanger wurde, weil sie sich einbildete, die Vibes des Kindes würden, die Kontaktaufnahme zu ihrem toten Mann beeinflussen. Aber auch so erlosch allmählich die Verbindung und Rose entschloss sich, in der Schweiz ihr Leben zu beenden.

Die Erbin ihrer Bauhaus-Villa bei München und ein paar Millionen extra ist nun Tatjana, die bislang als Museumskuratorin mit ihrem Mann Nikolai, einem mäßig erfolgreichen Autor, und der gemeinsamen Tochter Marie ein zufriedenes Leben im "richtigen" Viertel führt - mit den vom Autor sanft ironisch präsentierten, aber erwartbaren Zutaten von der Zimtschnecke über die Greenpeace-Spende bis zur Dramatik um den Übertritt der kleinen Marie auf das Gymnasium.

Das Millionenerbe katapultiert Tatjana und Nikolai ins "Philosophenviertel", eine an Pullach erinnernde Villengegend am Rande der Stadt. Aber die neuen Eigentümer sind sich sicher: Geld wird ihren moralischen Kompass nicht verändern. Sie stehen schließlich auf der richtigen Seite des Lebens.

Während Tatjana das Marie-Problem schnell mit einer Spende an ein Privatgymnasium löst, spürt Nikolai bald, dass er nicht mit dem Umzug in die "gelassene Bürgerlichkeit" seiner reichen Nachbarn geschlüpft ist. Er fühlt sich mehr "als Komparse in seinem eigenen Leben", die Regeln im Reichenviertel sind ihm fremd. Von einer Schreibblockade geplagt, setzt sich Nikolai schließlich in den Orgonakkumulator.

Der Münchner Autor und Lektor Georg M. Oswald hat allerdings kein Interesse an fantastischer Literatur und lässt die Orgonenergie ungenutzt. Stattdessen bleibt der ausgebildete Jurist auf sicherem Terrain: Er zwingt Tatjana und Nikolai in ein moralisches Dilemma, als sie Andeutungen über die schmutzige Provenienzgeschichte ihrer 100 Jahre alten Bauhaus-Villa erfahren. Kann man sein Glück auf einem Fundament der Ungerechtigkeit errichten?

Leider eilt der kurze Roman schnell seinem Ende entgegen und man bleibt als Leser mit dem Gefühl zurück, dass dieses spannende Thema viele Seiten mehr verdient gehabt hätte. Volker Isfort

Georg M. Oswald stellt "In unseren Kreisen" (Piper, 208 Seiten, 24 Euro) am 15. Juni um 19. 30 Uhr in der Seidlvilla vor (Nikolaiplatz 1b)

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.