Eine hinreißende Mischung aus Herzblut und Kalkül
Am Ende hielt es Geigenstar Anne-Sophie Mutter nicht mehr auf ihrem Platz. Heftig klatschend und "Bravo" rufend stürmte sie ans Podium, um der fast 70-jährigen Klavier-Ikone aus Italien zu huldigen. Und in der Tat: Man muss sich lange zurück erinnern, einen ähnlich grandiosen Auftritt Maurizio Pollinis im Herkulessaal miterlebt zu haben. Diesmal stimmte einfach alles - die Programmauswahl, die Tagesform fern aller Routine. Pollini at his best!
Im ersten Teil Chopin, danach Spätes und Bekanntes von Liszt: Herzblut und Kalkül mischten sich zu hinreissenden Klaviermomenten. Einwände, wenn überhaupt, allenfalls zur h-Moll-Sonate von Liszt. Pollini domestizierte die Exaltiertheiten. Dafür brachte er die vorwärts weisenden, lapidaren Ausblicke der vier späten Stücke - Nuages gris, Unstern, Trauergondel I, Richard Wagner-Venezia - unnachahmlich schlüssig auf den Punkt. Die Palme aber gebührt diesmal seiner Chopin-Kunst.
Wie er in zwei Nocturnes Atmosphäre herbeizauberte, als sei es das Leichteste auf der Welt, die Selbstverständlichkeit, mit der er in der Polonaise-Fantasie Op. 61 die rhythmischen Finessen dem melodischen Ausdruck unterordnete - da öffnete sich der Himmel. Im h-Moll-Scherzo schliesslich strafte er all jene Lügen, die ihm womöglich in spieltechnischer Hinsicht altersbedingte Defizite unterstellten. Und auch der Mut, keine Zeit mit einem leichten Einspielstück zu vertrödeln, sondern mit der f-Moll-Fantasie gleich zu Beginn einen Schwerpunkt zu setzen, liess keine Zweifel zu, dass ihm der Spitzenplatz trotz jugendlicher Verfolger noch immer sicher ist. Ein hinreissender Abend.
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