Eine gewisse Unantastbarkeit im Leid

Nina Hoss brilliert als „Anonyma – Eine Frau in Berlin“ in Max Färberböcks Drama
von  Abendzeitung

Nina Hoss brilliert als „Anonyma – Eine Frau in Berlin“ in Max Färberböcks Drama

„Wie oft?“, fragt eine Frau die andere. Eine Zahl wird genannt und kein weiteres Wort darüber verloren. Vergewaltigung ist Alltag in Berlin im Frühjahr 1945. Die Rote Armee feiert ihren Sieg – und die Frauen gehören zur Kriegsbeute. Die Massenvergewaltigungen durch die sowjetischen Soldaten sind bis heute ein Tabu in der Weltkriegsgeschichtsschreibung. Zu groß waren die Scham der betroffenen Frauen und die historischen Schuldgefühle des besiegten Volkes.

Im Windschatten des Geschichtsbooms im deutschen Kino hat Max Färberböck nun das Buch „Eine Frau in Berlin“ verfilmt, in dem eine anonyme Autorin von ihren schmerzhaften Erlebnissen im Berlin des Jahres 1945 berichtet und sich dabei trotzdem sehr differenziert mit den russischen Besatzern auseinander setzt. Nina Hoss spielt die gebildete Frau, die nach mehrfacher Vergewaltigung beschließt, sich einen „Wolf“ anzuschaffen – einen ranghohen Offizier (Evgeny Sidikhin), dem sie sich freiwillig zur Verfügung stellt, um sich die anderen Soldaten vom Leib zu halten.

Aus dem sexuellen Zweckbündnis erwachsen liebesähnliche Gefühle und im Vergleich zum Buch wurde diese Beziehung deutlich intensiviert. Ob dahinter das hehre Ideal der Völkerfreundschaft oder das zwanghafte Verlangen nach einer angedeuteten Liebesgeschichte steht, bleibt im Ungewissen. Verzichtbar ist diese dramaturgische Manipulation auf jeden Fall. Denn auch ohne amouröse Verwicklungen bietet der Lebensbericht der anonymen Erzählerin genug Stoff für eine differenzierte Betrachtung des Täter-Opfer-Verhältnisses.

Regisseur Max Färberböck hütet sich weitestgehend vor überschwänglichen Dramatisierungen. Nur auf der Tonspur gleitet der Film oftmals ins Plakative ab. Trotz wackeliger Handkameraaufnahmen durch düstere Kellergänge und sorgfältig aufeinander geschichtete Schutthaufen – die vollkommen chaotische Atmosphäre im zerstörten Berlin, die das Buch außerordentlich eindringlich beschreibt, will sich auf der Leinwand nicht wirklich herstellen. Aber so trägt vor allem Nina Hoss diesen Film auf ihren Schultern. Hoss gibt der Figur trotz allen erlittenen Leides immer auch eine gewisse Unantastbarkeit.

Martin Schwickert

Kino: City, Filmcasino, Mathäser, Münchner Freiheit, R & B: Max Färberböck, K: Benedict Neuenfels (D, 131 Min.)

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