Eine ganz eigene Euphorie

Vor fast zwei Wochen war Premiere im Pariser Theatre des Champs-Elysees. Nun bringt der in Frankreich hochgeschätzte und medienpräsente Dirigent Jean-Christophe Spinosi die Aufführung nach München. Bei uns ist er vor allem als (Vivaldi-) Geheimtipp bekannt.
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Vor fast zwei Wochen war Premiere im Pariser Theatre des Champs-Elysees. Nun bringt der in Frankreich hochgeschätzte und medienpräsente Dirigent Jean-Christophe Spinosi die Aufführung nach München. Bei uns ist er vor allem als (Vivaldi-) Geheimtipp bekannt.

Herr Spinosi, Sie stellen sich in München mit einer konzertanten Aufführung einer szenischen Version von Mozarts "Così" vor. Warum sollten wir das anhören?

Wenn man eine szenische Produktionen konzertant vorstellt, geschieht etwas Eigenartiges. Die Sänger stehen nun vor dem Orchester, das ja vorher im Graben saß, und gehen auf besondere Art aus sich heraus. Das habe ich immer wieder beobachtet. Sie bekommen ihre Freiheit zurück, aber mit der Erfahrung der Szene, und dabei entsteht eine ganz eigene Euphorie.

Man kennt Sie vor allem als Vivaldi-Spezialisten. In München stellen Sie sich mit Mozart vor, in Paris haben sie Anfang des Jahres mit Fanny Ardant als Regisseurin eine Messager-Operette dirigiert. Sind Sie ein „Multispezialist”?

Es ist ja eigentlich nichts neues, so zu arbeiten. Harnoncourt zum Beispiel macht das schon lange. Ich habe mich sehr für Vivaldi interessiert. Er ist einer der großen Komponisten des 18. Jahrhunderts, aber viele seiner Werke sind wenig bekannt und waren nicht eingespielt oder nicht einmal ediert. Und dann gab es einfach den glücklichen Moment: gerade in diesem Moment sind wir auf das Label Naïve getroffen. Aber ich finde es seltsam, sich nur mit einem Komponisten oder einer Epoche auseinanderzusetzen.

Also doch: „Multispezialist”?

Ich mag das Wort „Spezialist” eigentlich nicht. Als Geiger wie als Dirigent habe ich mich immer für alle Jahrhunderte interessiert. Auch mit meinem Ensemble Matheus machen wir zum Beispiel nächstes Jahr Norma im Châtelet, wir haben viel Rossini gespielt, wir werden Verdi spielen, im Januar entsteht in Paris eine neue szenische Produktion von Monteverdis Marienvesper. Und wir tun das nicht wie Touristen – wir versuchen, das musikalische Land, das wir gerade besuchen, nicht exotisch zu sehen, sondern darin zu leben und seine Gebräuche zu befolgen.

Was verstehen Sie unter historischer Aufführungspraxis?

Wenn man heute ein Werk, sagen wir: aus dem italienischen Barock interpretiert, dann versucht man, den Klang zu finden, der zu dieser Zeit gehört, aber das sollte nichts Museales haben. Wir werden niemals wieder so spielen können etwa zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Damals kannte man die Musik nicht, die nachher entstanden ist. Wir dagegen wir können nicht so tun, als hätten wir das alles nie gehört. Gleichzeitig hat heute jeder alle die Fortschritte und Ergebnisse der Musikwissenschaft zu Verfügung, die man braucht, um sich diese Werke zu erarbeiten.

Sie arbeiten meist mit dem von Ihnen gegründeten Ensemble Matheus. Wie ist es entstanden – und was bedeutet der Name?

Matheus war zuerst ein Streichquartett, in dem ich mit meiner Frau gespielt habe: von der Wiener Schule bis Schostakowitsch, wir wollten durch viele musikalische Sprachen reisen und dadurch auch alle besser verstehen. Warum wir das Quartett Matheus genannt haben? Meine Frau und ich hatten, gerade als wir das Streichquartett gegründet haben, unseren Sohn Matthieu bekommen, , und weil wir im Quartett die ersten waren, die ein Kind hatten – wir waren damals ja noch junge Musiker – da haben wir diesen Namen genommen. Damals war es noch ein bisschen in Mode, die Namen irgendwie lateinisch klingen zu lassen, denken Sie an den Concentus musicus – und so ist Matheus daraus geworden. Schließlich war das Streichquartett ja auch eine Art Kind, ein Kind von uns allen.

Wie sind Sie von da zum Dirigieren gekommen?

Auch wenn das Repertoire für Streichquartett enorm ist, ich hatte schon früh große Lust, auch zu dirigieren. Zudem hat mich das barocke Repertoire und die alte Musik interessiert. Und ich liebe die Oper. Für mich steht die Dramaturgie eines Werkes - jedes Werkes - im Vordergrund, auch wenn es sich um ein Konzert oder eine Sinfonie handelt, für mich ist es wichtig, dass es da eine Geschichte erzählt wird. So hat sich das Streichquartett zu einem Ensemble entwickelt. Wir machen Verdi mit großem Orchester, aber auch Projekte in viel kleinerer Besetzung.

Wieso heißt es aber Ensemble?

So konnten wir machen, was wir machen wollten, ohne je den Namen zu ändern. Für mich kann ein Ensemble zwischen vier und hundert Musikern haben. Ein Orchester dagegen fängt bei mindestens 15 an. Zugleich ist „Ensemble” auch irgendwie sympathisch: Ensemble heißt auf französisch ja „zusammen”. Das hat etwas mit Gemeinsamkeit, mit Familie, mit Freundschaft zu tun.

Mit wie vielen Musikern kommen Sie denn hierher nach München?

Für "Così" sind wir etwa fünfzig Musiker, die auf Instrumenten aus der Zeit der Klassik (oder Kopien) spielen. Wir spielen auch in einer tieferen Stimmung als üblich (430).

Und die Sängerbesetzung?

Es gibt drei Rollendebüts. Véronica Cangémi, mit der ich schon oft gearbeitet habe, singt zum ersten Mal die Fiordiligi: große Musikalität, eine fabelhafte Schauspielerin, ein starker Charakter – genau wie Fiordiligi. Paolo Fanale singt seinen ersten Ferrando: ein erst fünfundzwanzigjähriger italienischer Tenor, sehr charismatisch. Auch für Jaël Azzaretti, Französin trotz des italienischen Namens, ist die Despina ein Rollendebüt. Sie ist ein echtes komisches Talent. Luca Pisaroni hat den Guglielmo schon in der ganzen Welt gesungen, ebenso Pietro Spagnoli den Don Alfonso. Und Rinat Shaham aus Israel gleicht als Dorabella ihrer Così-Schwester genau.

Wie endet "Così fan tutte"? Ein Paar, zwei Paare, sogar drei vielleicht - oder gar keins?

Es geht gar nicht so sehr um die Frage, ob die alten Paare wieder zusammenfinden oder neue entstehen. Es geht darum, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt man die Illusionen, die Vorstellung von einer perfekten, vollkommenen Welt verliert: Wenn man erwachsen wird. Aber zugleich ist das auch ein Anfang: das wirkliche Leben beginnt.

Und die Komik?

Die ist meist unfreiwillig, tragikomisch. Die Verkleidung am Anfang zum Beispiel, das ist zugleich komisch und auch wieder nicht. Man lacht, aber es ist ein Lachen, das weh tut. Despina kann zwar wirklich sehr komisch sein, das ist fast schon surrealistisch und liegt auch in der Tradition dieser Art von Komödie. w Wenn ein Lachen entsteht in einer eigentlich ziemlich angespannten Situation Moment, dann tut das Lachen gut, auch wenn es ein nervöses Lachen ist. Aber es ist schön, wenn man zwischen Lachen und Weinen ist. Es ist eben wie das Leben. C'est la vie qui est bizarre!

Birgit Gotzes

Philharmonie, 19 Uhr, Restkarten an der Abendkasse

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