Eine Beerdigung erster Klasse
Gefühlt hat man diese Uraufführung schon 100-mal erlebt: Ein hermetischer Text der klassischen Avantgarde beschwört als Vorlage den Geist einer zweiten Moderne. Doch auf der Bühne erweist sich das neue Musiktheater als Totgeburt, weil jede Lust am Experiment gescheut und durch blasse Konvention ersetzt wurde.
Die bei der Biennale beliebten Einakter des Fin de Siècle sind alle längst vertont. Vor zwei Jahren erwischte es Lautreamonts „Chants du Maldoror”. Diesmal geriet das „Buch der Fragen” von Edmond Jabès in die Fänge der Neuen Musik: ein Scherbenhaufen aus Erzählfragmenten, dessen kunstvolle Anordnung sich beim Lesen zur bruchstückhaften Biografie zweier Überlebender des Holocaust zusammenfügt.
Die 1980 in Oldenburg geborene Komponistin Sarah Nemtsov stellt diesen schwierigen Text respektvoll in die Muffathalle, ohne Unterschiede zwischen Roman und Theater zu bedenken. „L’absence” besteht so aus 120 Minuten Edelschwurbel wie „Gott ist eine Befragung Gottes”, über den keine Sekunde nachgedacht werden darf, weil schon die nächste Sentenz folgt. Alle Dialoge sind windschief, zentrale Figuren nach einer mittlerweile arg verschlissenen Mode mehrfach aufgeteilt, was jedes Interesse an ihnen erstickt.
Präsente Darsteller könnten diese unter Gegenwartskomponisten gängige Bühnenverachtung aufwiegen. Aber sie sind in diesem papierernen Ideentheater zum Textschaufeln verdammt. Und so potenziert sich das Unbehagen Nemtsovs an einer Handlung, den Figuren und ihren Emotionen zu Langeweile, weil trotz aller bemühter Avantgarde opernnormal kostümierte Gestalten herumwuseln und es sehr verdruckst eigentlich doch um das Erzählen einer Geschichte geht.
Das ist halbgar. Dazu kommt eine unpersönliche Klangsprache. Runde und gezackte Gesangslinien werden vom überwiegend punktuell eingesetzten Orchester begleitet. Gegen Ende mehren sich Verdichtungen, die in einer lärmenden Wahnsinnsszene gipfeln. Sind seelische Störungen nicht eher eine stille Sache, gerade in der Musik?
Aber für Gefühle interessiert sich Nemtsov kaum. „L’absence” ist eher eine oratorische Meditation über jüdische Existenz – nichts, was auf eine Bühne drängt, die in Jasmin Solfagharis allzu geschmackvoller Inszenierung mit den bei diesem Thema unvermeidlichen Koffern und Kleiderstangen dekoriert wurde.
Immerhin: Das exzellente Bundesjugendorchester war unter Rüdiger Bohns Leitung von einem Spezialensemble für Neue Musik nicht zu unterscheiden. Zur Premiere versammelten sich die üblichen Verdächtigen – zwei Jahre älter, aber in den gleichen schwarzen Anzügen wie zu einer Beerdigung. Die Biennale unter Peter Ruzicka wirkt müde. 2016 soll ein Nachfolger kommen. Und hoffentlich ein Aufbruch.
Muffathalle, noch einmal am So, 20 Uhr