Ein temporeiches Kabarett des menschlichen Grauens
Das Theater Heidelberg macht den Demjanjuk-Prozess zu einer beklemmenden Revue
Ein Alptraum. Was sonst? Schließlich geht es in Jonathan Garfinkels Theaterstück „Die Demjanjuk-Prozesse" um ein „Holocaust-Kabarett". So jedenfalls nennt es der kanadisch-jüdische Autor. Angeregt dazu hat ihn der Prozess in München gegen den mutmaßlichen KZ-Wächter John Demjanjuk, der 1943 an der Ermordung von fast 28000 Menschen in den Gaskammern des Vernichtungslagers Sobibór beteiligt gewesen sein soll.
Doch auf der kleinen, von unten beleuchteten Spielfläche (Bühne: Anja Koch) im „Zwinger 1" des Heidelberger Stadttheaters kommen nicht nur biografische Details des heute 89-Jährigen zur Sprache, sondern es wird auch getanzt und gesungen. Eine Show, zu der sich Garfinkel vom politischen Kabarett der Zwanziger Jahre sowie dem Songstil von Bertolt Brecht und Kurt Weill hat inspirieren lassen. Das ist für das Publikum der deutschsprachigen Erstaufführung ebenso gewöhnungsbedürftig wie die zum Teil schockierenden Judenwitze.
Jonathan Garfinkel, der gemeinsam mit dem Regieteam und Schauspielern in München den Prozess gegen Demjanjuk besuchte, hat sein Stück unter diesem Eindruck umgeschrieben und lässt es jetzt im Verhandlungssaal des Landgerichts München beginnen. Entsprechend sehen die Zuschauer zunächst ein ihnen aus den Medien wohlbekanntes Bild: John Demjanjuk (Klaus Cofalka-Adami) wird in einem Rollstuhl mit Kopfstütze hereingeschoben. Eine hellblaue Kunststoffdecke umhüllt den schräg liegenden, anscheinend reglosen Körper, auf dem Kopf trägt Demjanjuk eine Baseballmütze, sein Mund ist leicht geöffnet.
Was nun folgt ist eine Zeitreise zur Kindheit Demjanjuks in der sowjetischen Ukraine, über den Zweiten Weltkrieg bis zum ersten Prozess gegen ihn in Jerusalem, der mit einem Todesurteil endete, das später vom Obersten Gericht Israels wegen „begründeter Zweifel" an seiner Identität wieder aufgehoben wurde. Dass aus dieser Materialsammlung keine trockene Dokumentation entstand, keine Summierung bloß monströser Einzelheiten ist sowohl den showartigen Effekten als auch den raschen Szenenwechseln zu verdanken, die Regisseurin Catja Baumann mit den famos agierenden Heidelberger Schauspielern nüchtern umsetzt. Vor allem Daniel Stock als „Iwan der Schreckliche", ein berüchtigter Aufseher im Vernichtungslager Treblinka, prägt diesen makabren Totentanz, der voll bedrückender Rückblenden und Aktualisierungen vom Vergessen erzählt, aber auch von der sinnlosen Lust an der Gewalt.
Ein beklemmender Text, der gelegentlich im musicalartigen Zugriff zu verwässern droht, aber doch genügend verstört, verwirrt, weil die oft so grausame Verbindung zwischen dem, was der Mensch ist und dem, was er unter den entsprechenden Umständen sein könnte, immer wieder schmerzhaft in das Fühlen und Denken der Zuschauer eindringt.
Alfred Huber