Ein Stich für die Weltgeschichte
Die hohen Opferzahlen machten den Bau des Panamakanals Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Skandal: über zwanzigtausend Arbeiter starben an Malaria. Dabei war – nach damaligem Wissensstand - doch für die bestmögliche Hygiene gesorgt worden, inklusive hochmoderner Krankenhäuser: „In Colón hatten die Patienten Blick auf das Meer, und die tropische Luft wehte durch die offenen Räume. Ja, und die Füße ihrer Betten, die Füße der Betten standen in Wassertöpfen. Hübsche, kleine Wassertöpfe, um Ameisen und Spinnen am Hochklettern zu hindern. Darin brüteten wir.”
Wer hier von der Katastrophe berichtet, ist ein Moskito selbst, der ungewöhnliche Erzähler in Carmen Stephans Romandebüt „Mal Aria”, das die Autorin als ein spannendes und sehr lehrreiches Duell zwischen Mensch und Natur konzipiert hat.
Seit über einem Jahrzehnt pendelt die Journalisten zwischen München und Brasilien. Sie hat ein Buch über Brasilia und seine Einwohner verfasst - und sich bei einer ihrer Reisen mit Malaria infiziert. So ergeht es auch der Carmen im Roman, einer Bayerin, die mit ihrem Freund in den Süden Brasiliens fährt. Ein romantischer Ausflug, bis zum fatalen Stich. Der erzählende Moskito ist ein Insekt mit bestechender Logik. Er erinnert den Leser daran, dass der Mensch der Eindringling, die Plage ist, schließlich kam dieser am letzten Tag dazu, als alles andere schon geschaffen war. Die dahinsiechende Carmen rührt ihn trotzdem - und so begleitet er sie auf ihrer Odyssee des Leidens.
Carmen Stephan hat intensiv über die Krankheit recherchiert, als deren Ursache die Menschen lange Zeit „Mal Aria”, die schlechte Luft, vermuteten. Und sie lässt ihren Moskito voller Stolz erklären, wie seine Artgenossen in die Weltgeschichte eingriffen: „Wer stoppte Alexander den Großen, den Eroberer der Welt? Wer schützte Rom vor dem Einfall der Barbaren - und wer half doch beim Einstürzen des Römischen Reichs?”
Aber woher kam die Malaria? Die Menschen wussten es lange nicht. So streut die Autorin mit viel Humor die Forschungsgeschichte ein: ein skurriler Wettkampf der Wissenschaftler mit nicht weniger Ehrgeiz und Aufwand geführt wie große Expeditionen. Am Ende war es Ronald Ross, der „seine Flagge als Erster in den Malariamond steckte”, wie Stephan schreibt - und 1902 den Nobelpreis erhielt.
Die Autorin muss sich derweil mit dem renommierten Preis der Ponto-Stiftung begnügen, die dieses außergewöhnliche Debüt zu Recht prämiert hat.
Carmen Stephan stellt „Mal Aria” (Fischer, 208 Seiten, 18.99 Euro) heute um 20 Uhr im Literaturhaus vor
- Themen:
- Literaturhaus München