Ein Ruck geht durch das Staatsschauspiel

Die Österreicher kommen: Martin Kušej bringt Stars wie Tobias Moretti, Nicholas Ofczarek und Birgit Minichmayr ans Residenztheater, das er im kommenden Herbst von Dieter Dorn übernimmt
von  Robert Braunmüller

Nur neun Schauspieler aus Dieter Dorns Ensemble bleiben: Sibylle Canonica, Alfred Kleinheinz, Juliane Köhler, Thomas Gräßle, Shenja Lacher, Oliver Naegele, Barbara Melzl, Arnulf Schumacher und Ulrike Willenbacher. Das Repertoire zum Beginn der kommenden Spielzeit ab Oktober wird völlig neu aufgebaut, keine der alten Inszenierungen übernommen.

Da werden viele Abonnenten des Bayerischen Staatsschauspiels erst einmal schlucken. Aber das ist Absicht: „Es muss etwas passieren, es muss ein Ruck durchgehen”, sagte der künftige Intendant Martin Kušej. Zum Theater gehöre der Wechsel, und sein Vorgänger sei im übrigen 2001 bei seinem Straßenseitenwechsel auch nicht anders verfahren. Er werde sich aber um die Nichtverlängerten kümmern und in Härtefällen Gastverträge anbieten.

Der 49-jährige Kärntner eröffnet seine erste Saison am 6.Oktober mit Arthur Schnitzlers „Das weite Land” in eigener Inszenierung. Das Stück sei ein alter Wunschtraum von ihm, wie er sich nun überhaupt nach dem Ende seiner wilden Jahre dem psychologischen Realismus annähern werde. Die Hauptrollen übernehmen Tobias Moretti, Juliane Köhler und Eva Mattes, die fest ins neue Münchner Ensemble wechselt. Das sind Namen, die den Abschied vom Dorn-Ensemble versüßen können, zumal Kušej auch mit Cornelia Froboess oder Lambert Hamel über weitere Auftritte verhandeln will.

Dann geht es Schlag auf Schlag: Am 7. Oktober folgt im Cuvilliéstheater die Uraufführung von Albert Ostermaiers „Halali”, das sich mit der Jagdleidenschaft des Franz Josef Strauß auseinandersetzt. Der Große Vorsitzende tritt allerdings nicht persönlich auf. Nur 24 Stunden später geht die deutsche Erstaufführung von Neil LaButes „Zur Mittagsstunde” in der Regie des Altmeisters Wilfried Minks über die Resi-Bühne.

Am nächsten Tag verwandelt sich der ausgeräumte Marstall für Helmut Kraussers „Eyjafjallajökull-Tam-Tam” (Regie: Robert Lehninger) in die Abflughalle eines Flughafens. Diese Uraufführung soll das 50-köpfige Ensemble vorstellen. Wer anderswo noch Verpflichtungen abarbeiten muss, wird per Video für diese Theater-Soap-Opera nach München herbeigebeamt.

Nach einer kurzen Verschnaufpause und der Premiere von Dennis Kellys „Die Götter weinen” (18. Oktober) darf sich der Berliner Volksbühnenzampano Frank Castorf die Zähne an „Kasimir und Karoline” (30. Oktober) ausbeißen. Er sei jetzt schon produktiv irritiert, weil man bei Horváth „garnischt machen” könne, erzählte Kušej. Hauptrollen spielen hier Birgit Minichmayr, Nicholas Ofczarek und Bibiana Beglau, die der neue Intendant vom Burgtheater abgeworben hat.

Zur Ergänzung des Repertoires hat der neue Hausherr in den letzten Jahren auf Vorrat inszeniert. Seine Inszenierungen von Roland Schimmelpfennigs „Peggy Pickit sieht das Gesicht Gottes” kommt aus Berlin, „Theo van Gogh: Das Interview” aus Zürich, Karl Schönherrs grandioses Geschlechterkampftrio „Der Weibsteufel” wechselt aus Wien ins Residenztheater.

Kurz vor Weihnachten gibt es dann noch Hebbels „Gyges und sein Ring” (Regie: Nora Schlocker, mit Stefan Konarske, Werner Wölbern und Britta Hammelstein) und eine Dramatisierung von Voltaires „Candide”. Sonst will sich Kušej auf „große Texte” konzentrieren und die Inszenierung von Romanen und Filmdrehbüchern der städtischen Konkurrenz drunten in der Maximilianstraße überlassen.

Die Pläne für den Rest der Spielzeit mit ihren insgesamt 25 Premieren wird Kušej im Mai bekannt geben. Für das Cuvilliéstheater zeichnet sich schon jetzt ein Schwerpunkt mit internationaler Gegenwartsdramatik ab und Gastspielen wie „Voices. Eine moderne Passion” von Calixto Bieito und Marc Rosich aus Kopenhagen. Im Marstall spüren Albert Ostermaier und die neue Resi-Dramaturgie um Sebastian Huber der Münchner Literatur von gestern und heute nach.

Um den Neuanfang zu unterstreichen, wird das Residenztheater wieder zusammengeschrieben. Den sperrigen Begriff „Bayerisches Staatsschauspiel” möchte der neue Hausherr nur zurückhaltend verwenden. Der Foyerbereich soll auch tagsüber zugänglich werden, um das zwischen Staatsoper und Residenz eher unauffällig eingezwängte Haus für Flaneure zu öffnen.

Auch ein Café soll es geben, weil der Österreicher zwischendurch einen Großen Braunen trinken will. „Ich mag nicht immer zum Brenner oder ins Eisbach gehen”, sagt er sparsam. „Das kommt mir einfach zu teuer."

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.