Ein Prosit auf den Klang!
Daniel Barenboims erstes Neujahrskonzert – es wird wohl nicht sein letztes sein. Der Dirigent hat die Wiener Philharmoniker heiter gelöst im Griff
Auf seinen Neujahrsgruß war man fast so gespannt wie auf seinen Johann Strauß. Dirigent Daniel Barenboim enttäuschte mit beiden nicht: Ehe hundert philharmonische Männerkehlen „Prosit Neujahr“ riefen, wünschte der argentinisch-israelische Weltbürger ein Jahr des Friedens und der menschlichen Gerechtigkeit im Nahen Osten.
Schon zuvor hatten die Wiener Philharmoniker mit dem Walzer „Märchen aus dem Orient“ auf Barenboims West Eastern Divan Orchestra ehrend angespielt, das junge arabische und israelische Musiker zusammenbringt.
Vor dem Konzert hatte Barenboim in einer Erklärung die israelische Militäroffensive im Gazastreifen scharf kritisiert, Israels Recht auf Selbstverteidigung gegen die Raketenangriffe der Hamas jedoch bekräftigt.
Aber auch musikalisch war dieses Neujahrskonzert ein Glücksfall. Barenboim wandte sich im Vorfeld gegen das Wort „Interpretation“: Es gelang ihm, sein Versprechen einzulösen und die Walzermusik mit den Wiener Philharmonikern aus dem Augenblick spontan so erklingen zu lassen, als würde sie auf dem Podium komponiert. Dem Dirigent, berühmt als ernstes Wagner-, Brahms- und Beethoven-Schwergewicht, glückten im zarten Schluss der „Alexandrinen-Polka“ oder mit dem Walzer „Rosen aus dem Süden“ ungewohnte Momente heiterer Gelöstheit.
Am ersten Geigen-Pult des Herrenclubs der Wiener Philharmoniker saß neben Rainer Küchl mit der Bulgarin Albena Danailova zum ersten Mal eine Frau. Sie war unter Zubin Mehta Stimmführerin der zweiten Geigen im Bayerischen Staatsorchester.
Die zweite philharmonische Dame, die Cellistin Ursula Wex, erinnerte ein wenig an die Mezzosopranistin Elina Garanca, die in der Stunde vor dem traditionell vom ZDF übertragenen Neujahrskonzert der Wiener die musikalischen Wünsche der ARD überbrachte.
Und da zeigte sich, dass an solchen Tagen vor allem Tradition zählt: Das mit einer Videowand aufgehübschte Festspielhaus Baden-Baden kann es wirklich nicht mit dem Goldenen Saal des Wiener Musikvereins aufnehmen. So schön die Garanca unter ihrem telegen dirigierenden Gatten Karel Mark Chichon die Carmen nebst anderem Spanischem auch sang: Im Vergleich mit Wien wirkte diese Veranstaltung neureich und regional.
Selbst der meist recht gezwungen wirkende Musiker-Scherz im Wiener Neujahrskonzert war diesmal auf dem Punkt perfekt: Als Auftakt zum Haydn-Jahr gab es den letzten Satz aus Haydns Abschiedssinfonie, in der die Musiker streikend von der Bühne gehen, bis zuletzt der Dirigent mit zwei Geigern alleinbleibt.
Nach dem obligatorischen Donauwalzer dirgierte Daniel Barenboim virtuos wie keiner vor ihm den Applaus beim Radetzky-Marsch. Spätestens hier verdichtete sich die Gewissheit: Das erste Neujahrskonzert Barenboims war gewiss nicht sein letztes.
Robert Braunmüller
Die CD zum Neujahrskonzert ist ab 7. Januar im Handel