Ein Platz vor der Tanke

„Stillleben in einem Graben“: Johannes Schmid inszeniert Paradivino im Marstall
von  Abendzeitung

„Stillleben in einem Graben“: Johannes Schmid inszeniert Paradivino im Marstall

Das „Stillleben in einem Graben" ist eine Komposition aus havariertem VW Golf, Müll, Schlamm und einer toten jungen Frau. Sie ist nicht Opfer des Verkehrsunfalls, sondern eines Mörders. Erste Spuren führen in die Disco eines Städtchens, Treffpunkt von sechs Junkies und ihren Dealern. Damit beginnt die Jagd auf die üblichen Verdächtigen. Dann kommt es anders, was Fernsehkrimi-Zuschauer wohl kaum überraschen kann: Der Mörder ist nicht unter den Kleinkriminellen zu finden, die immerhin noch eine Ganovenehre zu verlieren haben. Der Zerfall der Gesellschaft nagt mitten im gutbürgerlichen Milieu.

Italo-Tatort

Fausto Paradivino, 32-jähriger Schauspieler und Autor aus Genua, reagierte in seinem 2001 herausgebrachten Italo-Tatort auf die zunehmende Gleichschaltung des TV-Entertainments mit einem klassischen Whodunit, dessen Figuren namenlos geführt werden: Cop, Dealer, Bitch, Mother, Boy und Boyfriend. Diese treiben die Story nicht in Dialogen voran, sondern das Bild der Tat entsteht als allmählich enthüllter Flickenteppich von Monologen. Das ist Stärke und Schwäche des Texts zugleich: Fesselnd als Lesefutter, auf der Bühne wenig dramatisch.

Regisseur Johannes Schmid bleibt bei der anti-illusionistischen Dramaturgie des Autoren, bricht sie nur selten in kurze Dialoge auf und verkneift sich mit Ausnahme der Kostüme jeden Naturalismus. Die von Michael Kraus entworfene Spielfläche ist ein stark stilisiertes Stück Landstraße, auf dem hoch präsente Schauspieler Typen und Chargen zu einem fast durchweg spannend zu beobachtenden Personengeflecht weben.

Herausragend sind Stefan Wilkening als cooler Profi-Cop mit Magenproblemen und Katharina Gebauer als osteuropäische Zwangsprostituierte, die sich noch die Kraft erhalten hat, ihr vormals gelobtes Land mit Verachtung zu strafen: „Italien ist ein kleiner Platz vor einer Agip-Tankstelle." Doch der Regieeinfall, die Tote auftreten zu lassen (Anna Holter) und ihr Sterben durch eine Art Bodenturn-Nummer mimen zu lassen, erweist sich durch unverdient unfreiwillige Komik als unglücklich.

Mathias Hejny

Marstall, Karten Tel. 21851940

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