Ein Meteorit für Zwerge
Kindgerecht, nicht kindertümelnd? Neun Neubauten für Horte, Kindergärten und Krippen hat die Stadt München heuer fertiggestellt. Die AZ hat vier davon besichtigt
Für sie ist die schiefe Ebene ein früher, prägender Raumeindruck – und ein erstes Bild von der Welt: Für 48 Kleinkinder, die täglich in Peter Haimerls Krippen-Neubau in der Posener Straße in Denning gebracht werden. Darin verbindet ein knapp 40 Meter langer, zentraler Gang, dessen Bodenniveau leicht abschüssig ist, alle Räume miteinander. Im April wurde der eher ungewöhnliche Flachbau aus Beton und Glas fertig, der wie ein Meteorit zwischen Einfamilienhäuschen und einer Siedlung einschlug und halbseitig im Gelände versinkt. Die zwei Millionen Euro teure Krippe ist eine der neun städtischen Einrichtungen, die 2009 eröffnet wurden. Laut Franz Josef Balmert vom Baureferat stieg die Anzahl der Neubauten seit der Offensive zum Ausbau der Kinderbetreuung stetig – dennoch hinkt man dem Bedarf kaum hinterher.
Kinder und Beton – geht das zusammen? Brauchen die lieben Kleinen nicht eher heimelige, weniger harte Materialien und bunte Farben, um sich wohl zu fühlen? Ein so unausrottbares wie ästhetisch verheerendes Missverständnis: Wichtiger als eine sinnfrei kindertümelnde Gestaltung ist die Frage, ob der Bau kindgerecht und funktional ist. Kinder brauchen außer einer auf ihre Körpergröße ausgerichtete Möblierung vor allem Platz zum Bewegen und kreativen Freiraum – kein vorgefertigtes Fantasialand.
Viel Platz für Krabbel- und Lauflernkinder
Und darum hat Haimerls Entwurf einiges zu bieten, auch wenn er in der Ausführung nicht restlos überzeugt. Doch gerade die schiefe Ebene bietet reichlich Platz für Krabbel- und Lauflernkinder, die täglich üben wollen. Und der erstaunliche Raumeindruck wird verstärkt, weil sich der Gang nach unten verjüngt, so dass die Flucht noch tiefer wirkt. Farida Heucks Maltafel, die sich auf Zwergenhöhe die Wand entlang zieht, unterstreicht den Tiefenzug zusätzlich. Der Tafelfries ist eines der „Quivid“-Kunstwerke am Bau, für die bei städtischen Häusern knapp zwei Prozent der Bausumme aufgewendet werden. Eine alltagstaugliche Installation mit Mitmach-Aufforderung. Die allerdings bei größeren Kindern, die schon selbstständig malen und zeichnen und nicht Kreide erstmal in den Mund stecken, noch besser funktionieren würde.
Die Grundidee eines übersichtlichen und ebenerdigen Gebäudes, das Kindern den stufenlosen Weg durch alle Räume sowie ins Freie ermöglicht, gilt allgemein noch immer als Ideal. Haimerl hat es auf dem großen Areal spielerisch realisiert. Doch das ist nicht überall möglich.
Beim Kindergarten mit Krippe in der Großhaderner Straße in Laim ist das Grundstück kleiner, der Bau der Architekten Holzfurtner und Bahner ist zweigeschossig. So bleiben im Garten die geforderten zehn Quadratmeter Freispielfläche pro Kind. Der rot gestrichene Quader ist unprätentiös und praktisch. Doch das zentrale Foyer im Erdgeschoss ist mit Tom Früchtls farbenfroh-sinnfälligem Kunstwerk eine Besonderheit. Raum und Treppe leuchten grün, der Fußboden wird zum riesigen Spielfeld, das an „Mensch ärgere dich nicht“ erinnert. „Spielmitmir“ heißt die Bodenarbeit, die so suggestiv ist, dass sie fast auch Eltern zum Herumhüpfen anregt.
Glanz der Vielfalt
Derzeit decken rund 33500 Kindergartenplätze 83 Prozent des Bedarfs, die Aufstockung auf 90 Prozent ist geplant. Um bei der Realisierung Zeit und Kosten zu sparen, forderte das Baureferat auch mit einem Wettbewerb Architekten dazu auf, eine Systembauweise für Kitas zu entwickeln. Zwei der vom Büro „Zwischenräume“ entwickelten Holzrahmenbauten wurden bereits in Großhadern realisiert. Die von Schulz & Schulz entwickelten Gebäude mit begrünter Fassade werden 2010 fertig.
Noch sind die schönen, neuen Kitas nicht komplett standardisiert, sondern glänzen durch Vielfalt: Andreas Meck etwa plant in Fürstenried einen kreisrunden Neubau. Außen klar und nüchtern, innen großzügig wirkt wiederum der Hort mit Kindergarten, den Morpho-Logic an der Sendlinger Konrad-Celtis-Straße schuf. In Gruppenräumen gelten nicht eben üppige zwei Quadratmeter pro Kind als ausreichend. Doch angenehm proportionierte Räume und große Fenster suggerieren hier Weite. In einem Viertel, in dem wie Hortleiter Peter Wenus sagt, viele Kinder auf engem Wohnraum aufwachsen, ein kleiner Ausgleich.
Roberta De Righi