Ein Leben für das Theater
Rolf Boysen ist einer der größten deutschen Schauspieler. Heute wird der Doyen des Bayerischen Staatsschauspiels 90 – und begeht den Geburtstag mit einer Lesung seiner Essays
Den Abend seines 90. Geburtstags verbringt er – wo sonst? – auf der Bühne. Im Residenz Theater liest Rolf Boysen heute (20 Uhr) aus seinem Buch „Nachdenken über Theater“, in dem er 1997 seine Reflexionen über den Schauspieler-Beruf veröffentlicht hat. Der Doyen des Bayerischen Staatsschauspiels ist einer der größten deutschsprachigen Schauspieler und feiert neben seinem heutigen 90. Geburtstag in diesem Jahr auch sein 65. Bühnenjubiläum. Auch mit 90 ist er im Theater präsent mit Lesungen der großen Werke der Weltliteratur – von der „Ilias“ bis „Parzival“. Hier beweist Rolf Boysen die Macht der Sprachkunst – die einzige Macht, an die er glaubt.
Etwas anderes als Schauspielerei konnte er sich nie als Beruf vorstellen, obwohl ihn auch die Musik gereizt hat. Nach einer kaufmännischen Ausbildung und dem Kriegsdienst erhielt der Hanseat Boysen 1946 sein erstes Engagement in Dortmund. Von 1957 bis 1968 war er an den Münchner Kammerspielen – hier spielte er 1962 in Fritz Kortners Regie „Othello“, seine Desdemona war Doris Schade.
Dass Dorn ihn nach München zurückholte, war ein Glücksfall
„Kortner war meine Theaterschule“, schreibt Boysen in seinem Essay „Machen Sie Platz für den Ausdruck!“: „Er war ein Ausdruckserlöser! Er schaufelte den Schutt einer verbrauchten Tradition weg, er warf das ganze Gerümpel psychologisierender Besserwisserei über Bord und machte den Blick frei für Menschen in der Welt“, so empfand er Kortners Regie-Arbeit.
Unter Kortner spielte er an den Kammerspielen auch den Jean in „Fräulein Julie“ und in Hamburg „Clavigo“. Sein Partner war damals Thomas Holtzmann, den er seit 1952 kennt und mit dem er später nach seiner Rückkehr an die Kammerspiele jahrzehntelang die Garderobe teilte. Unvergesslich sind die beiden als Brüderpaar in Thomas Bernhards „Der Schein trügt“.
Boysen misstraut dem Realismus und der Natürlichkeit auf der Bühne. In einem AZ-Gespräch sagte er: „Dass ein Schauspieler sein eigenes Gefühl herausquetscht, interessiert mich überhaupt nicht. Ich will wissen, was er von der Figur erkundet hat, das muss er zeigen, das will ich sehen. Der Lear ist wirklich eine aufwühlende Rolle, aber nicht eine Sekunde hat mich je das Gefühl übermannt. Ich habe immer genau gewusst, was und wie ich es mache – jeden Abend. Was ich über die Rolle weiß, habe ich vorher erworben. Aber ich muss wissen, wie ich das zeige.“
„Ich habe immer genau gewusst, was und wie ich es mache“
Von 1968 an war Boysen zehn Jahre lang am Schauspielhaus Hamburg engagiert, daneben gastierte er in Wien, Berlin und Düsseldorf. In dieser Zeit war er auch häufig auf dem Bildschirm zu sehen – 1978 brillierte er als „Wallenstein“ in dem TV-Mehrteiler. Im selben Jahr holte Dieter Dorn den Schauspieler zurück an die Kammerspiele – und zu Dorns Ensemble gehört Boysen noch heute.
„Daraus ist eine Lebensgemeinschaft geworden, das ist ein großer Glücksfall“, sagt Boysen. Dieter Dorn, mit dem er 2001 an das Bayerische Staatsschauspiel wechselte, wurde sein kongenialer Regisseur. „Dorn dämpft den großen Ton, zu dem ich neige, das ergänzt sich ganz gut“, charakterisierte Boysen die gemeinsame Arbeit. „Er zieht alles auf ein menschliches Maß. Bei den Proben zu ,Lear’ hat er mir mal gesagt: ,Der Trauerrand kommt von allein.’“
Die erste Inszenierung von Dorns Intendanz am Residenz Theater war Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ – da spielte Boysen seine Wunschrolle, den Shylock. „Im Wechselspiel aus Freude und Hass, aus Empörung und Racheschrei bewahrt sich sein Shylock stets ein staunendes Fragen, ein Verwundertsein und Verwundbarkeit“, schrieb die AZ über Boysens Gestaltung. Und vor fünf Jahren brillierte er als Gott Dionysos in Euripides’ „Bakchen“.
Für sein Lebenswerk hat Boysen jede Menge Auszeichnungen bekommen, darunter den Kulturellen Ehrenpreis der Stadt München und den Bayerischen Theaterpreis. Stolz darüber ist ihm fremd. Ihm ging es immer nur um eines: die Wahrhaftigkeit auf der Bühne.
Gabriella Lorenz