Ein kleines Buch mit einem weiten Horizont
Es hat ein wenig gedauert, bis sich der neapolitanische Autor Erri De Luca in seiner Heimat – und dann international – Gehör verschafft hat. 1989 debütierte der in einem halben Dutzend Sprachen beheimatete Ex-Maurer mit seinen Kindheitserinnerungen „Das Licht der frühen Jahre“, inzwischen ist der 63-Jährige ein Bestsellerautor. Auch sein neuer Roman „Fische schließen nie die Augen“ führt zurück in die Kindheit an den Golf von Neapel.
Dieses Mal deutlich autobiographischer als sonst: Der Erzähler erinnert sich an den Sommer, in dem er als Zehnjähriger lernt, was die Worte Liebe, Rache und Gerechtigkeit bedeuten. Längst fühlt er sich unwohl im kleinen Körper, der die Kindheit noch nicht verlassen möchte, auch wenn der Kopf des manischen Lesers und Rätseltüftlers schon deutlich weiter ist.
„Bücher zu lesen war für mich, wie mit dem Boot aufs offene Meer hinauszufahren, die Nase war der Bug, die Zeilen Wellen.“ So spricht kein Kind, aber es ist ja auch der alternde Autor, der hier den Blick zurück wirft.
Der Junge weilt mit seiner Mutter auf einer Insel im Golf, der Vater sucht derweil in Amerika eine neue Zukunft, die sie nie haben werden. Der Zehnjährige freundet sich mit einem Fischer an und mit einem Mädchen, das er täglich am Strand trifft. Als sie gemeinsam ins Meer springen, spürt er die Innenfläche ihrer Hand, ein zärtlicher Schock, eine Initiation.
Doch wo die Liebe blüht, ist die Eifersucht nicht weit: Drei größere Jungen wollen sich an ihm rächen – und der Junge stellt sich heroisch seinem Schicksal. Das Mädchen aber hat noch einen ganz anderen Plan, die Prügel an ihm zu rächen.
De Lucas einfache, bildhafte Sprache verzaubert den Leser von den ersten Seiten dieser von mediterraner Melancholie durchtränkten Sommerparabel. Immer wieder blitzen auch andere Schlüsselerlebnisse aus dem Leben des Erzählers hervor, die Abschiede von Vater und Mutter, der Bosnienkrieg, das Scheitern etlicher Liebesbeziehungen: Ein kleines Buch mit einem weiten Horizont.
Erri De Luca stellt „Fische schließen nie die Augen“ (Graf Verlag, 150 Seiten, 16.99 Euro) am 13.11. um 19 Uhr im Literaturhaus vor