Ein junger wilder Altmeister
Über 40 Jahre hat Peter Zadek das deutsche Theater aufgemischt wie kein anderer: Seine Inszenierungen waren immer für Überraschungen gut. Jetzt ist der Regisseur mit 83 Jahren gestorben
Er schockte oder begeisterte, provozierte und polarisierte: Über 40 Jahre hat Peter Zadek als einer der wichtigsten Theaterregisseure der Nachkriegszeit Höhe- und Wendepunkte im deutschen Theater gesetzt. In den letzten Jahren war er schwer erkrankt, musste Inszenierungen absagen oder verschieben und seinen Traum von einer eigenen Shakespeare-Company begraben. In der Nacht zum Donnerstag ist Peter Zadek in Hamburg mit 83 Jahren gestorben.
„Meine Lebensform ist Spielen“, schrieb Peter Zadek in seiner Autobiografie „My Way“. Er war deshalb nie auf einen Stil festzulegen: Schock-Spektakel, schrille Revuen, leise, psychologische Kammerspiele: Zadek beherrschte alles. Geboren wurde er am 19. Mai 1926 in Berlin, die jüdische Familie emigrierte 1933 nach England. In London studierte er Regie und hatte 1957 mit Jean Genets „Der Balkon“ einen Sensationserfolg. 1958 übersiedelte er nach Deutschland. Der Intendant Kurt Hübner, ein unermüdlicher Talente-Scout, holte ihn 1960 nach Ulm. Mit Hübner und anderen jungen Wilden wie den Regisseuren Peter Stein, Rainer Werner Fassbinder, Peter Palitzsch sagte er in Ulm und ab 1962 in Bremen dem Bildungstheater den Kampf an und machte mit dem Bühnenbildner Wilfried Minks und Schauspielern wie Bruno Ganz, Edith Clever und Angela Winkler das aufregendste Theater der Republik. Seine wilden Inszenierungen, etwa Shakespeares „Maß für Maß“ als schrille Pop-Art-Revue, prägten den „Bremer Stil“ und revolutionierten das deutsche Theater.
Eher glückloser Intendant
1972 wurde Zadek Intendant in Bochum. Hier begann seine Zusammenarbeit mit Ulrich Wildgruber, der bis zu seinem Tod in allen großen Zadek-Inszenierungen der Protagonist wurde. Sein von schwarzer Schuhcreme triefender „Othello“, der die nackte Eva Mattes als tote Desdemona über eine Wäscheleine hängte, erntete 1976 zunächst Hass-Reaktionen, dann wurde er Kult. Die Revue „Kleiner Mann, was nun?“ wurde zum Erfolg des Jahres 1972.
Seinen allergrößten Erfolg jedoch inszenierte er 1984 in Hamburg: Joshua Sobols Holocaust-Stück „Ghetto“ mit Ulrich Tukur als SS-Offizier. Als Intendant am Deutschen Schauspielhaus Hamburg war Zadek ab 1985 eher glücklos, aber er lieferte spektakuläre Aufführungen: 1987 das Musical „Andi“, 1988 eine furiose „Lulu“ mit Susanne Lothar.
Er liebte den großen Elisabethaner
Seine große Liebe galt William Shakespeare, und in verschiedenen Inszenierungen der selben Stücke konnte er völlig neu darauf blicken. Den „Hamlet“ inszenierte er einmal mit Ulrich Wildgruber, später mit Angela Winkler in der Titelrolle. Am meisten interessierte ihn der Shylock im „Kaufmann von Venedig“, den er schon in Ulm inszeniert hatte, dann 1988 mit Gert Voss am Wiener Burgtheater. Dort gelang ihm auch 1996 ein traumhafter „Kirschgarten“ mit Sepp Bierbichler, Ulrich Wildgruber und Hermann Lause. Denn auch Tschechow und Ibsen zählten zu seinen bevorzugten Autoren.
Zadek konnte ein Despot sein und einen Theaterbetrieb in den Nervenzusammenbruch treiben. Er suchte stets nach kompromissloser Fantasie, vollbrachte Schauspieler-Wunder ebenso wie Debakel, blieb auch als junger wilder Altmeister ein Provokateur des Bildungstheaters. Er schuf Theater von Weltrang, über 20 Mal wurde er zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Seine letzte Inszenierung war 2009 Shaws „Major Barbara“ in Zürich.
Gabriella Lorenz