Ein Jahrhundertmann
Der Schriftsteller Jorge Semprún wird heute 85 Jahre alt – Franziska Augstein folgt in ihrem neuen Buch den Spuren seines ungewöhnlichen Lebens
Seine unglaubliche Biografie steht exemplarisch für die Schrecken eines Jahrhunderts: 1939 flüchtete der damals 16-jährige Jorge Semprún vor dem Franco-Regime nach Frankreich. Dort schloss er sich der Résistance gegen die Nazis an. 1943 wurde er von der Gestapo verhaftet und ins KZ Buchenwald verschleppt. Nach der Befreiung durch die Alliierten stieg er im Auftrag der Kommunistischen Partei zum prominentesten Untergrundkämpfer gegen die Franco-Diktatur auf und war unter seinem Decknamen Federico Sánchez einer der meistgesuchten Männer des totalitären Regimes.
Ein Individualist
Doch als eigenständiger Denker jenseits aller Doktrinen blieb er der Partei suspekt und wurde 1964 ausgeschlossen. Ein Vierteljahrhundert später, als Semprún sich längst als Autor und Drehbuchschreiber (für Filme wie „Z“ von Costa-Gavras oder „Der Krieg ist aus“ von Alain Resnais) international einen Namen gemacht hatte, unternahm er in der Regierung von Felipe González ein dreijähriges Gastspiel als Kulturminister. Erneut interpretierte er seine Rolle zu eigenständig für die sozialistische Partei, es kam zum Bruch.
Franziska Augstein hat sich in ihrem Buch „Von Treue und Verrat“ dem charismatischen Künstler genähert, der die ursprünglich geplante, gemeinsame Nachzeichnung seines Lebens als zu langweilig empfand. Damit er Dinge lesen könne, „die er vielleicht noch nicht weiß“, spiegelt Augstein Semprúns Leben mit den Biografien anderer Holocaustüberlebender und Zeitzeugen. Ihr Buch ist ein intellektueller Parforceritt durch das 20. Jahrhundert und zeugt von hohem Respekt vor diesem großen Unbeugsamen.
Volker Isfort
Franziska Augstein: „Von Treue und Verrat“ (C. H. Beck Verlag, 380 Seiten, 24.90 Euro)
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