Ein Hitchcock für Jungs
Dieser stilsichere und dichte Jugendfilm ist ein Meisterwerk, auch weil er auf Ängstlichkeiten von Eltern keine Rücksicht nimmt. So ist „Das Haus der Krokodile” für uns Erwachsene ebenso spannend
Ein wunderbar grobkörniger Super 8-Film taucht auf. Ein Mädchen lacht beim Spielen, Versteckspielen, Seilspringen in die Kamera. Die ansich süßliche Musik ist in spürbares Moll getaucht. Wer ist diese Cecilie, die heute vielleicht 50 Jahre alt wäre? Viktor stößt nicht nur auf den alten Film, sondern auch auf ihr gemaltes Tagebuch. Es ist eine Art geheimer Wegweiser durch das alte Haus, in dem Viktor mit seinen älteren Schwestern wohnt, während die Eltern im Urlaub sind. Es ist das unheimliche Haus des Großonkels, das vollgestopft ist mit kolonialen Souveniers – einschließlich vieler ausgestopfter Tiere, besonders Krokodile, groß und klein.
Das Regieduo Cyrill Boss und Philipp Stennert hat die Fernsehserie der 70er mit Tommi Ohrner (jetzt mit kurzem Gastauftritt als Vater) zu einem Jugendfilm verdichtet, der in einer meisterhaften Hitchcock-Atmosphäre Gegenstände rätselhaft aufläd und das Haus wie ein magisches Gefängnis fast nie verlässt. Das ist so spannend, dass auch jeder Erwachsene keine Sekunde das Gefühl hat, nur wegen seiner Kinder im Kino zu sitzen.
Dabei ist dennoch vor allem die Gefühlswelt von 10- bis 15-Jährigen getroffen: das sich etwas fremd fühlen in der Welt, nicht mehr Mammasöhnchen sein, aber auch lange noch nicht erwachsen. Die detektivische Abenteuerlust erinnert an „Fünf Freunde”, aber hier ist ein Junge allein zu Hause einem Kriminalfall auf der Spur. Doch dann ist doch alles ganz anders und von den Erwachsenen tabuisierte Familiengeheimnisse werden befreiend offengelegt. Auch weil der Film bei alledem auf keine pädagogischen Empfindlichkeiten Rücksicht nimmt, sondern auch Haarsträubendes und Beklemmendes riskiert, hat er Kraft und Qualität, die ihn weit über die meisten Kinder- und Jugendfilme hinaushebt.
Also: vorher aufs Klo, damit man vor Spannung nicht in die Hose pinkelt, und dann rein ins „Haus der Krokodile”.
Kino: CinemaxX, Mathäser, Münchner Freiheit
R: Boss, Stennert (D, 90 Min.)